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History of Medi
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Sexualpathologie
Ein Lehrbuch
für Ärzte und Studierande
Von
Sanitätsrat Dr. Magnus Hirschfeld
Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin.
Dritter Teil
BONN 1920 A. Marcus & E.Webers Verlag
Dr. iur. Albert Ahn
Störungen im Sexualstoffwechsel
mit besonderer Berücksichtigung der Impotenz
Von
Dr. Magnus Hirschfeld
Sexualarzt in Berlin
Mit fünf Tafeln (Photographien, Kurven und einem Innervationsschema)
BONN 1920 A, Marcus & E. Webers Verla Dr. iur. Albert Ahn
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Alle Rechte, besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1920 by A. Marcus & E. Webers Verlag in Bonn.
Druck: Otto Wigand'sche Buchdruckerei G. m. b. H., Leipzig.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Erstes Kapitel. Fetischismus (Sexueller Symbolismus) . . 1
Wesen der Teilanziehung — Der individuelle Fetischzauber als Grundlage der sexuellen Selektion — Unterschied zwischen p h y s i o - logischein und pathologischem, kleinem und großem Fetischis- mus — Sexueller und religiöser Reliquienkult — Partialismus, Idolis- mus, Symbolismus — Sinnbildliche Bedeutung des Fetisch — S y m bolismus oder M e t a bolismus — Partielle Attraktion und A v e r - , sion — Antifetischismus oder Fetischhaß — Die antifetischistische Idiosynkrasie als Revers der Teilanziehung — Antifetischistische Zwangseinstellung gegen weibliche Brüste bei einem heterosexuellen Mann — Haß einer Frau gegen Vollbart träger — Wort zauber — Gedanklicher Objektivierungsdrang gefühlsmäßiger Komplexe — Unbe- grenzte Zahl der Fetische — Schamgefühl aus Lustgefühl — Wichtiger Unterschied zwischen dem Begehren eines Gegenstandes am eigenen oder fremden Körper — Ausführungen eines Damenstiefelfeti- schisten — Sexualpartial spezialismus — Gibt es absolute Schön- heitsgesetze? — Das „gewisse Etwas" — Nuancierung der Partialreize
— Spezialisiertheit im Haarfetischismus — Fetischistischer Sammeltrieb
— Krüppel fetischistaus — Fall eines Krücken fetischisten — An- ziehung durch defekte Körperteile und Körperhüllen — Vorliebe für häßliche Menschen — Gibt es akzidentell determinierende Erleb- nisse? — Aufteilung der verursachenden Momente — Die Tücken des Zu- falls und der Dämon, der Konstitution — Das Reizziel — Der durch die spezifische Konstitution bedingte Reflex — Erste Begegnung zwischen dem endogenen und dem exogenen Komplement — Ober- flächlichkeit jeder ätiologischen Begründung aus dem Milieu — Fetischismus und innere Sekretion — Das sexuelle Hunger- gefühl — Assoziations beispiele — Die Versinnbildlichung weiblicher Energie — Ausführungen von Bein-, Arm-, Nagel-, Seide- und Gutnmi- fetischisten — Einteilung des Fetischismus nach der Ausgangs- und Eingangs stelle fetischistischer Reize — Distanzielle und proxi- male Fetischreize — Das instinktive Fahnden aller Sinne nach lust- betonten Sexualeindrücken — Optische und akustische Fetische — T i t e 1 fetischismus — Mannes- und Weibsgeruch — Sexualpunkte in den Sinnesorganen — Geschmacksfetischismus — Temperatur fetischis- mus — Berührung« furcht — Juwclenfelischismus — Inhärente, ad- h ä r e n t e und kohärente Partialreize — Wechselwirkungen zwischen Fetischismus und Mode — Sexuelle Entspannung durch Manipulationen ata Fetisch — Einteilung des Fetischismus nach Körperregionen — Zopfabschneider und Scheitelfetischisten — Verschweigen falscher Haare als Eheanfechtungsgrund — Fetischhaß gegen rote Haare — Die Barttracht als Indikator der GescUechtsakzentuierung einer Zeit —
Y2 Inhaltsverzeichnis
Seite
Scheidenverlegung in die Nasen löcher — Beteiligung sämtlicher Sinnes- organe am Mund fetischismus — Sexuelle Spielerei am Ohr — Tränen- fetischisteu — Rumpffetischismus — ■ Wirkung des DecoUetee — Fetischisti- sche Bedeutung der Vorwölbungen und Einsenkungen der Körperoberfläche — Der Busen des Weibes und der Kehlkopf des Mannes
— Coitus intermaminalis — Nabelhaß — Schwangerschaftsfetischisten — Welche Männer geben breiten, welche schmalen, welche mittleren Hüften den Vorzug? — Verehrimg des Phallus und der Vulva — Anusschnüffler — < Genitalfetischisten — Extremitäten fetischismus — Die entblößte Hand und der bekleidete Fuß — Händedruck und Handkuß — B e w e -
. , g u n g s fetischismus — Tanzvoyeure — Kohärenz fetischismus — Künstliche Nachhilfen fetischistisch stark wirksamer Körperteile
— Erotische und antierotische Bedeutung von Augengläsern, Stöcken und Schirmen — Parfümfetischismus — Adhärenz fetischismus ■ — Gründe der Bekleidungswahl — Eine Kragenknopffetischistin — \ Fetischis- mus für rote Kokarden ■ — Ehescheidung wegen Barchentfetischis- mus — Differentialdiagnose zwischen Taschendiebstahl und Taschentuch- fetischismus — Eheanfechtung wegen Korsetifetischismus — Hypererotische Zustände bei einer Frau infolge Wickel- und Ledergamaschen — . ^Die große Gruppe der Schuhfreier — Die metatropisehe
■Bedeutung des Schuhes — Fetisch n a r b e n — Retroussee- und Aus- kleidungsfetischisten — B e 1 1 fetischismus — Fetischismus für schla-
■ f e n d e Frauen — Sexueller Farbenrausch — Kostüm- und Uni- fortafetischismus — Reiztrachten — Frack- und Mantelhaß — Feti- schismus für tierische Felle, wie Pelz und Leder — Die fetischistische Grundlage der Zoophilie — Schwachsinnige Tierschänder — Hunde- und Katzenlicbe — Erotische Fixation an einen Kanarienvogel und Papagei — Onanie mit Tieren ■ — Von Tieren an Menschen vorgenommener Lambitus und Coitus — Zoosadismus — Krokodile und Schlangen als
■ Sexualobjekte — Übertragung von Krankheiten durch Tierliebkosun- gen — Religiöse Sodomie — Weshalb ist die Bestrafung von Unzucht mit Tieren entbehrlich? — De ndrophilie — Ein Mann, der ein Ver- hältnis mit einer alten Eiche hat — Erotische Fixierung an Gegenstän- den aus dem Mineralreich — Fall von Kristallfetischismus — Der feti- schistische Charakter der Statuophilie, Nekrophilie und des H y p e r -
erotismus.
Zweites KapiteL Hypererotismus .80
Die quantitativen Abweichungen des Geschlechtstriebes — Die sexual- pathologische Plus- und Minus gruppe ■ — ' Die innersekretorisch bedingte Stärke des Erotismus — Wo fängt das geschlechtliche Über- maß an? — Das Sexualtemperament — Sexuelle Athleten — Verhältnis der Triebrichtung zur Triebstärke — Ungleichheit der auf das eine und das andere Geschlecht gerichteten Libido bei Bisexuellen — Triebbeherrsch barkeit — Präpubische und postklim- akterische Gcschlechtslust — Innersekretorische Bedeutung der Pro- stata-Involution — ■ Verhältnis von Libido und Potenz — Sexuelle Eindrucks fähigkeit und Ausdrucksmöglichkeit — Die „Leichenbraut" — Der Sexualrhythtaus — Ebbe und Flut der sexuellen Hormonwellen - — Geschlechtliche Anfechtungen — Einfluß der Nahrungs-, Genuß- und Arzneimittel auf die Triebstärke — Hormon- t h e r a p i e — Liebesraserei, Satyriasis, Nymphomanie und Mannstollheit — Fausts: „im Genuß verschmacht ich nach Begierde" — Poly-
Inhaltsverzeichnis VII
Seite
g a m e und monogame Form des Hypererotistnus — Der P o 1 y e r o - 1 1 k e r — Menschen mit Genitalien und Genitalien mit Menschen — Sexuelle Polypragmasie — Einfluß des Hypererotismus auf den körper- lichen und seelischen Gesundheitszustand — Fall eines verhei- rateten Polyerotikers — Oraler Genitalverkehr — Prostituierte aus Leiden- schaft — Hypererotische Gebärden — ' Sexuelle Uberbedürftigkeit beim Weibe — Lüsternheit infolge Pruritus vulvae — Koitus halluzi- nationen — Die natürliche Koitusform des Menschen — Coitus a poste- riori — Succubation — Sexuelle Ersatzorgane — Die Kontakttendenz erogener Zonen — Figurae veneris — Digitationen als infantilistische Betätigungsart — Differentialdiagnose zwischen Finger und Glied — Orale Betätigungsform — Cunnilinctio, Penilinctio und Anilinctio — Überwin- dung des Ekels als ein Haupttaerkmal der Liebe — Die monogame Form des Hypererotismus — Don Juan- und Toggenhurgtypen — Liebe als Krankheit — Erotische Superfixation neurotischer Frauen wäh- rend der Gravidität — Pathologische Liebe zu Prostituierten — Über- flutung des Gehirns mit erotischen Rauschstoffen — Narkotische "Wirkung des Andrins und Gynäcins — Sehnsucht und Eifersucht — Der gesteigerte Liebes aktivismus und -Passivismus — Geschlecht- licher Unterwerfungsdrang und sexuelle Hörigkeit — Gelähmter Ge- schlechtswille — Doppelselbstmord infolge sexueller Über- fixation — Metatroplsmus und Hypererotismus — Der erotische Unterwerfungsdrang des Weibes als Wurzel ihrer früheren Ent- rechtung — Sadismus und Hypererotismus — Verstärkte Inkretion als Ursache des Sadislnus — Die quantitative und qualitative Erklärung des Virilismus durch die innere Sekretion — Inkretorisch verursachte Ge- waltakte und Verbrechen — Sexuelle Intoxikation — Triebwiderstand und Willenswiderstand — Vergewaltigungs wünsche — Physische und psy- chische Beugung des Geschlechtswillens — Koitus an einer Hyperero- tischen — Liebeskünstler — Unterdrückung sexueller Gegenwehr — Sexuelle Siegerpose — Einfluß des Alkohols, der Erschöpfung und Musik auf den sexuellen Widerstand — Sadistische Stufenleiter — Imaginärer Sadismus — Pollutionen bei Erzählung der Passionsgeschichte
— Passiophilie — Beobachtungen in der Berliner Spartakuszeit -^ Luststeigerung durch Schadenfreude und Mitleid — Wachtraum eines Hypererotikers — Die Zotomanie — Sexueller Wortrausch — Hyper- erotische Schreibwut — Obszönitäten in Bedürfnisanstalten • — Physiologischer und pathologischer Visionismus — Trieb zu schauen und sich zur Schau zu stellen — Fetischvoyeure — Triolisten — Wechselwirkung zwischen materieller und sexueller Gewinnsucht — Ein Voyeurroman von Barbusse — Kuppelsucht — Brachiale Sexualexzesse — > Der Lust- mord — Mitteilungen angeblicher Lustmörder — Plötzliche Todesfälle ita sexuellen Affekt — Absoluter und relativer Hypererotismus — Anschei- nende Lustmorde aus Raubgier und Eifersucht — Echte I;Ustraorde zur Entspannung der Geschlechtslust — Geschlechtsrausch — Sadistische Ver- stümmelungen — Affekttaumel Schwachsinniger — Epileptische Lusttöter — Schließen Planmäßigkeit und Erinnerungsmöglichkeit Unzurechnungsfähigkeit aus? — Lusttaord und Aberglaube — Geißler und Mädchenstecher — Sexualpathologische Stereotypie — Bösartig- keit als Ü b e r k 0 m p e n s a t i 0 n von Gutartigkeit — Weiche Fanatiker
— Sadisten und Spartakisten — Antifetischistischer Sadismus (Bild) — Bilderschändung — Statuostupration und Statuophilie — Sexuelle Urmotive von Bilderdiebstählen — Hyperfixierung an Personen im Film — Nekrophilie — Imbezille und hysterische Leichenschänder — Salome-Typen
Vni ' Inhaltsverzeichnis
Seit* .
— Körperliche Hypererotismusformen — Der Priapismus — Erektionen ohne Mitbeteiligung des Geschlechtstriebes — Johannestrieb und Wasser- stanzen — Gonorrhoische Priapismen — Aphrodisiaea — Anale Erektions- wirkung — Periphere Reizung der Wollustkörperchen — Erektionen und Ejakulationen bei Erhängten und Geköpften — Erschöpfungspria- pismen — Leukämische Priapismen — Toxische Priapismen — Priapismen durch Dauerreizung des Erektionszentrums — Die Polyspermie
— Pollutionismus und Spermatorrhoe — Samenplethora und Sahienkoller — Krankhaf titelt unfreiwilliger Samenverluste — Tagespollutionen — Frottage — Miktions- und Defäkationsspermatorrhöe
— Verwechselung zwischen Spermatorrhoe und „Gonorrhoea simplex" — Regurgitierender Samen — Begriff der sexuellen Überreizung.
Drittes Kapitel. Impotenz 142
Der sexuelle Potenzmechanismus — Die vierfache Genitalinnervation — Einige allgemeine Betrachtungen über Fortpflanzungsfähigkeit — A d o p - t i e r u n g s gutachten — Einteilungen der Impotenz — Die Impo- tentia coeundi et generandi — Zerebrale Erotisierung — Eheanfechtung wegen Aspermatistaus und Anandrinismus — Organische und funk- tionelle Inipotenz — Absolute und relative Impotenz, matrimoniale Impotenz — . Unsere Vierteilung in impotentia cerebralis, spinalis, geni- talis und germinalis — Sexuelle Appetitlosigkeit — Antierotische Wirkung der Ermüdungsstoffe und Toxine — Flucht vor sexuellen Anfi.'ch- tungen in die Einsamkeit — Depotenzierende Wirkung des Alkohols
— Morphinistische Impotenz — Einfluß von Kokain, Kaffee, Blei und Nikotin auf die Potenz • — Itopotenz infolge akuter und chronischer Krankheiten — Gemütsverfassung und Sexualität — Anerotismus des Weibes
— Impotenz infolge von Triebanomalien — Impotenzen auf antiietischisti- scher Grundlage — E h ew i e d er her stell u ngs gutachten bei tempo- rärer Impotenz — Autosuggestive Impotenz — Hemmungs- ilnpotenzen- — Die mangelhafte Geschlechtsempfindung des Mannes und des Weibes — Warum bleibt das Lustgefühl beim Weibe häufiger aus als beim Manne? — Anorgasmus und Frigidität — Verschiedenheit der männlichen und weiblichen Lustkurve — Kalte Frauen — Relative und ab- solute Frigidität -^ Der individualistische Charakter des Sexualreflexes — Stimmung des Nervensystems — Lustvortäuschung ita Geschlechts- verkehr — Ejaculatio praecox — Die spinale Impotenz — Die sexuellen Zentren im Rückenmark und Sympathikus — Die sensorische Leitung im nervus pudendus — Die motorische Leitung in den nervi erigentes — Die Unabhängigkeit des Erektions- und Ejakulationsvor- gangs vom Willen — Der komplizierte Blutgefäß- und Muskelapparat des Gliedes — Ausfallserscheinungen bei Schuß durch das Lendenlnark und ihre allmähliche Rückbildung — Tabische Impotenz — Fall von Impotenz bei multipler Sklerose — Gutachten über Ehebruchsbilligung eines impotenten Gatten — Psychogene Bedingtheit der „nervösen" Impotenz — Die genitale Impotenz — Penisdefekte — Beischlafs- und Zeugungsfähigkeit von Hermaphroditen — Abnorme Kleinheit und Größe des Penis — Verdoppelung des Penis (Diphallus) — K oh ab i t at i o n ser schwe - r u n g durch Hypospadie und Epispadie — Bedeutung der Phi- mose — Die wirkliche und angebliche Verkürzung des Vorhautbänd- chens — Behinderung des Koitus durch Paraphimose — Penisschüsse
— Fraktur und Luxation des Penis — Der geschundene und abgerissene
Inhaltsverzeichnis IX
Seite Penis — Abschnürungen des Penis — Fretadkörper in der Harnröhre — Er- frierungen und Verbrennungen des Gliedes — Herpes progenitalis — Die Kavernitis — Chorda penis — Die plastische Induration des Penis — Ossifikationsprozesse im Glied — Die F o u r n i e r sehe Krankheit — ödema- töse, variköse und elefantiastische Verdickungen des Gliedes — Impotenz durch Kondylome, Geschwüre und Geschwülste des Penis — Penishörner — Einschlüpfen des Penis — Beischlafsfähigkeit weiblicher Hermaphroditen — Membranöser Vulvaverschluß — Narbige Scheidenverwachsungen — Atresia vulvae — ■ Neubildungen an der Scham ■ — Depotenzierende Wirkung der Hottentottenschürze — Pruritus vulvae — Scheidenstenose — Das abnorm dicke resistente Hymen — Die zweite Verschlußmembran — Schei- dendefekt — Falsche Scheiden — Doppelscheide — Kohabitation in den vor- gefallenen Muttertaund — Beischlafsunfähigkeit wegen schmerzhafter Ent- züfldung in den Adnexen — ' Die germiuale Impotenz — Das Drüsengemenge im Ejakulat — Die Aufgabe der Samenbläschen — Bedeutung des Prostata- saftes — Aspermie und Azoospermie — Ejaculatio disjuncta — Samenlosig- keit auf Grund nicht produzierter oder nicht sezernierter Samenfädchen — Kausalverhältnis zwischen psychosexopathologischer und generativer Konstitu- tion — Beischlafs- und Zeugungsfähigkeit der Eunuchen — Doppelseitige Nebenhodenentzündung als häufigste Ursache der Azoospermie — Tripper- sterilität — Notwendigkeit der ^amenuntersuchu n g bei strittiger Vaterschaft — Künstliche Befruchtung durch Hodenpunktat — Samenlosigkeit bei Erschöpfungszuständen — Quantitative und qualitative Kei^ Verderbnis durch Alkohol — Zeitsterilisation mittels Röntgen- strahlen — Nekrospermie — Oligospermie — Asthenischer und mißbildeter Samen — Spermaschädliche Stoffe — Verfahren zur Gewinnung einwand- freien Spermas — Samenblasengelee — Rot, grün und gelb gefärbter Samen
— Ejakulationsloser Koitus — Aspermie nach wiederholten Koitusakten — Organische Behinderungen des Samenaustritts — Schmerzen beita Orgasmus
— Spermaturie — Die germinale Impotenz der Frau — Eicrmangel — Un- wegsamkeit der Leitungswege — Geschlechtskrankheiten als häufigste Ur- sache der weiblichen Unfruchtbarkeit — Verkümmerungen der Gebärmutter
— Der fötale, infantile und pubeszente Uterus — Nachentwicklung der Ge- bärmutter — Etapfängnisunfähigkeit — Muttermundstenosen — Impotentia
concipiendi, gestandi und parturiendi.
Viertes Kapitel. Sexnalnenrosen (Sexualverdrängung) . . 220
Zusammenfassung der sexuellen Neurasthenie, Hysterie und Hypochondrie unter dem ätiologischen Begriff der Sexualverdrängung und dem nosologischen der Sexualneurosen — Hysteroneurasthenic — A b u 1 i e der-Sexualneurotiker — i Sexuelle Beklemmungen und Angstträurae — Die Angst als Flucht aus Schwäche in Erregung — V e rstimmung und Überempfindlichkeit des Nervensystems auf sexueller Basis — Herz- neurosen und nervöse Dyspepsie, Coccygodynie und Hodenneuralgien infolge Sexualverdrängung — Steigerung von Schwäche in Lähmung, von Unruhe in Zittern — Stammeln und Erröten — Ruhetremor und Intentionstremor — Der sexuelle Verdrängungsschrei ■ — Hysterische Spasmen — Harnstottern — Hysterische Pseudophthise bei einer Hypererotischen — Sekretionsstörungen der Drüsen und Reflexsteigerungen bei Sexualneuro- tikern — Seelische und körperliche Ursachen des Vaginismus — Penis captivus — Ejaculatio praecox — Sensibilitätsstörungen — Heiser- keit und Stimmlosigkeit der Sexualneurotiker — Hysterogene Druck-
Inhaltsverzeichnis
Seite punkte und Topalgien, — Polydipsie — Phobien und Idiosynkrasien
— Die sexuelle Grübelsucht — ■ Syphilidophobie — Masturbations- und PoUu- tionshypochonder — Kohabitationshypochonder — Unlustrcaktion auf sexuelle Betägigung - — I'mpotenzhypochonder • — Sexuelles Lampenlieber — Hochzeitsangst — Pathologische Entlo- bungen — Deflorationshypochonder — Selbstquälereien über an- gebliche Mängel am Genitalapparat — Sexualpathologische Un- entschlossen heit als eine der häufigsten Ursachen der Ehelosigkeit Eifersuchtswalin — Sexueller Beziehungs- und Verfolgungswahn — — - Hysterische Hochstapler und Schreiberinnen anonymer Briefe — Entste- hung des sexuellen Verfolgers aus dem sexuellen Verdränger ■ — Ekstasensucht der Sexualneurotiker — Das Verhältnis zwischen neuro- tischer Disposition und Störungen im inneren Chemismus — Ansichten von Beard, Eins wanger, Eulenburg und Krafft-Ebing jjber die sexuelle Neurasthenie — Das Zutreffende der Freud sehen Theorie — Eingeklemmte, verdrängte und abreagierte Sexualaffekte — '■ Toxische Natur der Sexualneurosen — Psychocliemischer Parallelismus
— Das AbstinenzproblCm — Keuschheitsprinzip, Sportabstinenz und Priester- zölibat — Der Maler Menzel als Typus eines sexuellen Negativisten
— In welchem Alter treten Abstinenzschäden auf? — Stärkt die Beherr- schung des Geschlechtstriebes den Charakter? — Verschwinden schäd- licher Abstincnzfolgen durch sexuellen Verkehr — Geschlechtliche Surrogate — Fleischenthaltung als angebliches Mittel gegen „Fleischeslust" — ■ Darf der Arzt zu Heilzwecken den Geschlechtsverkehr empfehlen? — Frauen Überschuß — Kampf zwischen sexuellen Reflexen und Reflexionen — Dauernde und temporäre Abstifienz — Totale und partielle Abstinenz • — Absolute und relative Abstinenz — Sexual- verstopfung — Bedeutung der adäquaten Entspannung unter Berück- sichtigung der Sexualkonstitution — Sexualneurosen Abnormaler — Coitus interruptus, reservatus, prolongatus — Verlobungszeit als Nervenprobe — Masturbatio interrupta et incompleta — Col- li c u 1 i t i s s em i n a 1 i s als Ursache reizbarer Nervenschwäche — Die onanistische Neurose — Dreiphasige Entwicklung des Geschlechts- triebes: autistisehe, indifferenzierte und differenzierte Geschlechtsepoche — Sexuell bedingte Schülerselbstmorde — Überkompensation durch Über- treibung des Gegensätzlichen — Tripperneurasthenie
— Erhöhte Reizbarkeit spinaler Zentren durch periphere Sensibilitätssteige- rung • — Überreizungsneurasthenie infolge sexifeller Exzesse — Mangelnde Ausbalanzierung des in erotische Vibration versetzten Nervensystems — Das sexuelle Trauma — Scha"raverletzungs- c h 0 k — Hysterische Zustände im Anschluß an die B r a u t n a c h t — Nervenschwiichende Wirkung der von Weib und Mann gebrauchten V o r - beugungsmittel — Weibliche Hysteroneurasthenie infolge männlicher Vernachlässigung — Gab es unter den alten Griechen und Ger- manen auch Genitalhypochonder und Sexualneurotiker?
Fünftes Kapitel. Exhibitionismus 294
' Der krankhafte Entblößungsdrang — ■ Ursprung und Etymologie dieses sexualwissenschaftlichen Begriffs — . Seltsamer Widerspruch zwischen der Schamhaftigkeit und Scha"mlosigkeit der Exhibitionisten ■ — Seibätbekenntnisse eines Exhibitionisten — Scheu der Exhibitio- nisten vor dem weiblichen Geschlecht — Exhibitionismus und Fetischismus
Inhaltsverzeichnis ' ^«J
Seite Exhibitionismus und Hypererotismus — Überkompensatorische Leistungs- ' fähigkeit eines Exhibitionisten — Krankhaft gesteigerte Ab-« Wehrtendenzen — Flucht in Krüppelhaftigkeit — Exhibitio- nismus und Narcißmus — ^ Wie spielt sich ein exhibitionistischer Anfall ab? — > Was geht ihm voraus? > — Der endogene und exogene Faktor im Zeigezwangstrieb — Die Bedeutung der unteren Extretaitäten als auslösende Ursache der Entblößung — Exhibitionistische Reaktion auf Gesäß und Brüste — Die Teilerscheinung als Index der Gesamtvorstellung — Schul- mädchen und Dienstmädchen als Hauptobjekte exhibitionistischer Attentate — An welchen Orten und zu welchen Zeiten findet die Exhibition statt — Der Exhibitionsmantel — Der zielstrebigö'und stereotype Ab- lauf des Exhibitionsakts — Exhibitionistische Zurufe — Sprach- licher Exhibitionismus — ■ Reaktionsformen auf exhibitionistische Angriffe — Typische Ausreden der Exhibitionisten — - Der angebliche Demonstrationssadismus — Schaustellung und Bloßstellung — • Überschrei- tung der Schamgrenzen ohne fetischistischen Anreiz -^ Die psycho- pathisch-infantile Konstitution des Exhibitionisten — Ex- hibitionisten — Exhibition senil Dementer — Imbezille, epilep- tische und idiopathische Exhibitionisten — Gerichtsurteile über Exhibitionisten — A n t i r e f 1 e k t o r i s c h e Einflüsse — Verhütung und Behandlung des Exhibitionistnus — Willkürliche Beherrschung der
Inkretion.
Nachwort 326
Verzeichnis der Tafeln
zwischen Seite
Tafel I. Temperaturfetischismus 30 und 31
Tafel IL Antifetischistischer Hypererotismus 82 und 83
Tafel III. Hypererotismus 128 und 129
Tafel IV. Potenzinnnervation 144 und 445
Tafel V. Ausbleibende Befriedigung des Weibes infolge vorzeitiger Ent- spannung des Mannes 174 und 175
I. KAPITEL
Fetischismus
(Sexueller Symbolismus)
Wesen der Teilanziehung — Der individuelle Fetischzauber als Grundlage der sexuellen Selektion — Unterschied zwischen physiologischem und pathologischem, kleinem und großem Fetischismus — Sexueller und reli- giöser Reliquienkult — Partialismus, Idolismus, Symbolismus — Sinnbild- liche Bedeutung des Fetisch — S y m bolismus oder M e t a bolismus — Partielle Attraktion und Aversion — Antifetischismus oder Fetischhaß — Die antifetischistische Idiosynkrasie als Revers der Teilanziehung — Antifeti- schistische Zwangseinstellung gegen weibliche Brüste bei eineta heterosexuellen Mann ■ — Haß einer Frau gegen Vo 1 1 b a r t träger — Wort zauber — Gedanklicher Objekti- vierungsdrang gefühlsmäßiger Komplexe — Unbegrenzte Zahl der Fetische — Schamgefühl aus Lustgefühl — Wichtiger Unterschied zwischen dem Begehren eines Gegenstandes am eigenen oder fremden Körper — Aus- führungen eines Damenstiefelfetischisten — Sexualpartial spezialismus — Gibt es absolute Schöuheitsgesetz? — Das „gewisse Etwa s" — Nuancierung der Par- tiälreize — Spezialisiertheit im Haarfetischismus — Fetischistischer Sammeltrieb — Krüppel fetischismus — Fall eines Krücken fetischisten — Anziehung durch defekte Körperteile und Körperhüllen — Vorliebe für häßliche Menschen — Gibt es akzidentell determinierende Erlebnisse? — Aufteilung der verursachenden Momente — Die Tücken des Zufalls und der Dämon der Konstitution — Das Reizziel — Der durch die spezifische Konstitution bedingte Reflex — Erste Begegnung zwischen dem endogenen und dem exogenen Komplement — Oberflächlichkeit jeder ätiologischen Begründung aus deto Milieu — Feti- schismus und innere Sekretion — Das sexuelle Hungergefühl — Asso- ziations bei spiele — Die Versinnbildlichung weiblicher Energie — Ausführungen von Bein-, Arm-, Nagel-, Seide- und Gummifetischisten — Einteilung des Fetischismus nach der Ausgangs- und Eingangs stelle fetischistischer Reize — D i s t a n - z i e 1 1 e und proximale Fetischreize — Das instinktive Fahnden aller Sinne nach lustbetonten Sexualeindrücken — Optische und akustische Fetische — Titel- fetischismus -:- Mannes- und Weibsgeruch . — S e x u a 1 p u n k t e in den Sinnes- organen — Geschmacksfetischismus — Temperatur fetischismus — Berührungs- furcht — Juwelenfetischistous — Inhärente, a«dhärente und kohärente Partialreize — Wechselwirkungen zwischen Fetischismus und Mode — Sexuelle Ent- spannung durch Manipulationen am Fetisch — Einteilung des Fetischismus nach Körperregionen — Zopfabschneider und Scheitelfetischisten — Ver- schweigen falscher Haare als Eheanfechtungsgrund — Fetischhaß gegen rote Haare — Die Barttracht als Indikator der Geschlechtsakzentuierung einer Zeit — Scheidenverlegung in die Nasen löcher — Beteiligung sämtlicher Sinnesorgane am Mund fetischismus — Sexuelle Spielerei am Ohr — Tränen fetischisten — Rumpf- fetischismus — Wirkung des Decolletee — Fetischistische Bedeutung der Vorw.öl- b u n gen und Einsenkungen der Körperoberfläche — Der Busen des Weibes Hirschfeld, Sexualpathologie. III. 1
1. Kapitel: Fetischismus
und der Kehlkopf des Mannes — Coitus intermammälis — Nabelhaß — ■ Schwanger- schaftsfetischisten — Welche Männer geben ' breiten, welche schmalen, welche mittleren Hüften den Vorzug? — ' Verehrung des Phallus und der Vulva — AnusschnüHler — - (lenitalfetischisten -^ Extremitäten fetischismus — Die entblößte Hand und der bekleidete Fuß — Händedruck und Handkuß — B e w e g u n g s fetischismus — Tanzvoyeure — Kohärenz fetischismus — Künstliche Nachhilfen fetischistisch stark wirksatner Körperteile — Erotische und antierotische Bedeutung von Augengläsern, Stöcken und Schirmen — • Parfümfetischismus — Adhärenz fetischis- mus — Gründe der Bekleidungswahl ■ — Eine Kragenknopffetischistin — Fetischismus für rote Kokarden — Ehescheidung wegen Barchentfetischis- mus — Diö'ercntialdiagnose zwischen Taschendiebstahl und Taschentuchfetischismus — Eheanfechtung wegen Korsett fetischismus — Hypererotische Zustände bei einer Frau infolge Wickel- und Ledergamaschen — Die große Gruppe der Schuh- freier — Die metatropische Bedeutung des Schuhes — Fetisch- n a r h e n — Retrouss^e- und Auskleidnngsfetischisten — Bett fetischismus — Fetischismus für schlafende Frauen — Sexueller Farbenrausch — Kostüm- und Uniform fetischismus — Reiztrachten — Frack- und Mantelhaß — Fetischismus fÜT tierische Felle, wie Pelz und Leder — Die fetischistische Grundlage der Zoophilie ■ — Schwachsinnige Tierschänder — Hunde- und Katzenlicbe — Erotische Fixation an einen Kanarienvogel und Papagei — Onanie mit Tieren — Von Tieren au Menschen vorgenommener Lambitus und Coitus — Zoosadis- mus — \ Krokodile und Schlangen als Sexualobjekte — Übertragung von Krankheiten durch Tierliebkosungen — Religiöse Sodomie — Weshalb ist die Bestrafung von Unzucht mit Tieren entbehrlich? — Dendrophilie — Ein Mann, der ein Verhältnis init einer alten Eiche hat — Erotische Fixierung an Gegenständen aus dem Mineralreich — Fall von Kristallfetischismus — Der fetischistische Charakter der Statuophilie, Nekrophilie und des Hypererotismus.
Die Anziehungskraft, welche eine Person auf eine andere aus- übt, geht niemals von ihrer Gesamtheit aus. Es sind viel- mehr immer nur einige körperliche und seelische Eigenschaften, bald in geringerer, bald in größerer Anzahl, die reizen und fesseln; es kömmt sogar nicht selten vor, daß es nur eine einzige Eigen- schaft an einem Menschen ist, der sich jemandes Liebe zuwendet. Fehler" und Mängel der Person werden dann zwar noch objektiv als solche empfunden, aber subjektiv um des einen Vorzugs willen völlig übersehen.
Diese Teilanziehung oder partielle Attraktion wurde von Krafft-Ebing „individueller Fetisehzauber" genannt und von ihm „als^Keim jeder physiologischen Liebe" erachtet. Als phy- siologischem Fetischismus steht ihr ein pathologischer gegenüber, der in krassester Form darin seinen Ausdruck ündet, daß ein von seinem Träger gänzlich losgelöster Teil, beispielsweise ein abgeschnittener Haarzopf oder Schuh, geschlechtlich in hohem Grade erregend wirkt. Zwischen diesen beiden, der normalen Teilanziehung, auf der das große Gesetz der sexuellen Selek- tion beruht, und der krankhaften Partialattraktion, welche sich auf eine isolierte Eigentümlichkeit allein erstreckt, liegt das weite Gebiet leidenschaftlicher Zuneigungen, bei denen die Sinne zwar auf einen Teil in Verbindung mit dem zu ihm gehörigen Menseben
T. Kapitel : Fetischismus 3
eingestellt sind, dieser Bestandteil aber so ü b e r w e r t e t wird, daß viel weniger der Mensch mit der bestimmten Eigenschaft, als die Eigenschaft mit der an ihr befindlichen Person begehrt wird.
B i n e t hat unter Zugrundelegung dieser Beobachtungen einen k 1 e i n en und großen Fetischismus unterschieden ; beim kleinen steht der erotisch wirksame Teil stark im Vordergrunde so- wohl hinsichtlich der sexuellen Empfindung als der Betätigung, löscht aber den Träger nicht aus, auf den sich vielmehr allmählich die Verliebtheit überträgt. Beim großen Fetischismus bleibt eine solche Übertragung in der Regel aus, es findet eine völlige Sub- stitution statt, indem der anziehende Gegenstand, selbst wenn er ein lebloser ist, vollkommen an die Stelle einer geliebten Person tritt. Von B i n e t , welcher im Jahre 1887 durch seine Arbeit : „Du Fetichisme dans Tamour" in der Revue i)hilosophique diesen sexual- pathologischen Begriff in die Wissenschaft einführte, rührt auch der Name her. Meist wird dieses Wort mit dem portugiesischen „feitigo" zusammengebracht, was eine gefeite Sache bedeutet, eine Art Zaubermittel, etwas Ähnliches wie in der religiösen Verehrung ein Amulett, ein Talisman, eine Reliquie; oder auch wie ein Götzenbild, wobei man berücksichtigen muß, daß der primitive Mensch sich diese unbelebten Gegenstände und Symbole als innerlich beseelte Wesen vorstellt. Bereits im Jahre 1769 war in Paris ein Buch mit dem Titel: „Du Culte des dieux-fitishi" erschienen, das sich mit der Anbetung vieler sonderbarer Dinge beschäftigte, denen ein fetischistischer Charakter zuerteilt wird. Die Bezeichnung Feti- schismus hat sich durchgesetzt, während andere nicht minder zu- treffende Ausdrücke für dieselbe Erscheinung, wie sexueller Par- tialismus (von „pars pro toto'* =:^ der Teil an Stelle des Ganzen) oder sexueller Idolismus — Idol im Sinne von Götze — nicht durchgedrungen sind. Ebensowenig auch der von Eulenburg vor- geschlagene Name : sexueller Symbolismus, der den Vorteil hat, mit einem Schlagwort das innerste Wesen der Erscheinung zu be- leuchten, denn wie wir sehen werden, handelt es sich bei den Feti- scheii in der Tat um assoziativ entstandene Sinnbilder, konzen- trierte Symbole. Übrigens soll das portugiesische Ursprungs- wort feitiQO aus dem lateinischen factitius gebildet sein, das von facere =^ machen herstammt und soviel wie ein künstlich her- gestelltes Abbild bedeutet. Ein Philologe hat vorgeschlagen, den Fetischismus statt Symbolismus, welcher Terminus bereits ander- weitig mit Beschlag belegt ist, Metabolismus zu nennen, her- geleitet vom griech. metaballo, was eintauschen oder ersetzen heißt, ein zweifellos gut geprägtes, biegsames und klares Wort, da ja der ganze Vorgang in der Tat eine Substitution ist. Gegen die von mir in den „Naturgesetzen der Liebe" eingeführte Bildung: Teil- anziehung oder partielle Attraktion, der als Revers nicht
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weniger bedeutungsvoll und verhängnisvoll die Teil abstoßung oder partielle Aversion gegenüberstellt, ist eingewandt worden, daß diese Worte keine Wandlungen, vor allem keine Eigenschafts- wörter zulassen. Für den Begriff der partiellen Aversion haben sich in der Literatur auch die Bezeichnungen Antifetischis- m u s und F e t i s c h h a ß eingebürgert.
Der Fetischismus verhält sich zum Antifetischismus wie etwas Positives zu etwas Negativem, Zuneigung zu Abneigung, wie Lustbetontes zu Ünlustbetontem, Liebe zu Haß. So heftige Formen der Fetischhaß gelegentlich annimmt — kann er doch selbst kri- minelle Zerstörungen im Gefolge haben — , so stellt er im Grunde meist doch nur einen verkappten Fetischismus dar, bei dem das Unlustgef ühl aus dem Nichtvorhandensein der lust- betonten Sinneswahrnehmung erwächst. Um ein Beispiel zu geben, rührt die antifetischistische Aversion vieler Frauen gegen den Voll- bart des Mannes vielfach von einer fetischistischen Vorliebe für ein glattes Gesicht her; das positive Anzeichen — der männliche Ge- schlechtscharakter des Bartes — entfaltet eine negative, das nega- tive — die Bartlosigkeit — eine positive Wirkung, entsprechend einem Minus von Weiblichkeit und weiblicher Keaktionsfähigkeit bei der liebenden Person. Als Ursache seelischer Impo- tenz spielt die antifetischistische Idiosynkrasie eine nicht geringe Kolle. Ich will hier aus einer Zusammenstellung, die im „Neurologischen Centralblatt" 0 unter dem Titel „Über Horror sexualis partialis (sexuelle Teilaversion, antifetischistische Zwangs- vorstellungen, Fetischhaß)", von mir veröffentlicht wurde, zwei Be- obachtungen anführen.
Einer der Fälle betrifft einen ärztlichen Kollegen. Er ist 35 Jahre alt, verheiratet, vollkommen heterosexuell, stark libidinös. Seine Abneigung bezieht sich auf die weib- lichen Brüste. Sie ist so stark, daß Ausdrücke wie „Busen", „Brust", „Mammae" u. ä. ihm großes Unbehagen bereiten. Es koste ihn eine große Überwindung, das Wort ,, Brust" auszusprechen; er suche es nach Möglichkeit zu vermeiden. Diese Wortaver- sion ist übrigens für Antifetischisten eine ebenso verbreitete wie bezeichnende Eigen- tümlichkeit; sie entspricht dem Wortzauber bei der fetischistischen Einstellung. Sein© Frau, berichtet der Kollege weiter, singe häufig die schöne Komposition des Heine- schen Gedichtes: „Wenn ich in Deine Augen seh." Vor der Stelle dieses Liedes: ,,Wenn ich mich lehn' an Deine Brust, kommt's über mich wie Himmelslust" spüre er ein Bangen und Zittern; er schäme sich in die Seele seiner Frau, die übrigens seine Aver- sion nicht kenne, und atme erleichtert auf, wenn der otainöse Passus vorüber ist. Die Vorstellung eines aus der Milchdrüse herausfließenden Milchtropfens, nicht nur der Anblick, sondern auch der Gedanke daran, verursache ihm Brechreiz. Der Anblick einer dekol- letierten Dame, einer stillenden Mutter, einer starkbusigen Frau, Bilder wie die Tiziansche Venus erregten ihm Übelkeit. Auslagen von Korsettgeschäften er- schienen ihm als Gipfel der Indezenz. In seineta Beruf als Arzt habe
1) „Neurologisches Centralblatt", Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. 1911, Nr. 10. Red.: Dr. Kurt Mendel. Leipzig.
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ihm diese unüberwindliche Aversion wiederholt Schwierigkeiten bereitet. So könne er Perkussion und Auskultation weiblicher Brustorgane nur vom Rücken aus vornehmen: eine Frau, die ihn wegen eines karzinomatösen Knötchens in der Mamtna konsultierte, vermochte er nicht zu palpieren („B e r ü hr u n g s f ur ch t"); er überwies sie ununtex- sucht einem Spezialarzt. Um des Anblicks des ihm verhaßten Körperteils in der Praxis weniger teilhaftig zu werden, wurde er Kinderarzt. Eine Erklärung für seine ihm unerklärliche und peinliche Antipathie weiß er nicht anzugeben. Daß sie durch eine Gel&genheitsursache, einen ,,choc fortuit", entstanden sein könne, hält er für ausgeschlossen; er habe sich eingehend daraufhin geprüft, aber nichts zu entdecken ver- mocht, worauf seine Antipathie zurückzuführen wäre."
Ein analoger Fall von Fetischhaß bei einem Weibe ist fol- gender:
Eine den besseren Ständen angehörige Dame, etwa 40 Jahre alt, erklärte ihrem Gatten, sie müsse sich von ihm scheiden lassen, wenn er sein Vorhaben, sich einen Voll- bart wachsen zu lassen, ausführen würde. Die Patientin ist ausschließlich heterosexuell, fühlt sich zu Männern, die ihrem Geschmack entsprechen, stark hingezogen, liebt seit mehreren Jahren einen Mann sehr, hat dagegen, solange sie zurückdenken kann, einen förmlichen Haß gegen Vollbarte. „Schon als ganz junges Ding", schreibt sie, „habe ich mich dagegen empört, wenn ich Zeitungsanzeigen las, in denen vom Bart als ,höherer Zierde' oder ,Stolz eines Mannes' die Rede war, oder wenn Bartwuchsmittel an- gepriesen wurden. Ich kann nicht ausdrücken, wie greulich inir so ein wallender oder auch gestutzter dunkler oder heller Vollbart ist. Ich gebe ja zu," — fährt sie in bezeich- nender Ironie fort — , ,,daß häufiges Waschen von Kragen und Chemisettes damit gespart, selbst minderwertige Schlipse darunter aufgetragen werden können; das kann doch aber für den Geschmack nicht maßgebend sein. Nie und nimmer könnte ich für einen Voll- bartträger in Liebe entbrennen. Ist nicht das Genie, wenn auch oft mit starkem Haar- wuchs, doch meist glatt rasiert? Cäsar, Napoleon, Luther, die Humboldts, Goethe und Schiller, Moltke und Mommsen und noch viele andere Geistesheroen trugen keinen Voll- bart. Hat man ihn den katholischen Geistlichen nicht ganz untersagt, damit sie ein ge- wisses seelisches übergewicht besser zum Ausdruck bringen können? Ich meine — und dies soll wahrhaftig niclit frivol klingen — selbst ein Christuskopf am Kreuz müsse er- gi'eifender und rührender erscheinen, wenn die weh und schmerzlich verzogenen Lippen nicht ein Vollbart bedeckte. Für mich ist der Vollbart ein Abzeichen von Brutalität und Gewaltmenschentum; ich liebe nur die feine, stolze
Männlichkeit, deshalb ist mir ein Vollbart ita allerhöchsten Grade ekelhaft."
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Man beachte den gedanklichen Objektivierungsdrang rein sub- jektiver Empfindungen, ferner, daß sich in beiden Fällen bei völlig heterosexuellen Personen der Fetischhaß auf sekundäre Geschlechts- charaktere wie die Brüste des Weibes und den Bart des Mannes er- streckt, die im allgemeinen als besonders typische und anziehende G eschlechtszeichen angesehen werden. Dies läßt weitgehende Seh lüsse auf die psychosexuelle Eigenindividualität der antifetischistisch reagierenden Persönlichkeiten zu, und zwar nach der Richtung, daß sie selber keine Volltypen ihres Geschlechtes sind.
Die Zahl der Fetische ist unbegrenzt groß. Von Kopf bis Fuß gibt es kein Fleckchen am Körper, und von der Kopfbedeckung bis zur Fußbekleidung kein Fältchen am Gewand, von dem nicht eine fetischistische Reizwirkung ausgehen könnte. Da es sich hierbei oft um ganz außerordentlich kleine Besonderheiten handelt, etwa eine bestimmte Art des Lächelns oder eine eigentümliche Haltung, so
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verbirgt sich sowohl das, was anzieht, als das, was abstößt, nicht selten in der Tiefe des Unbewußten, oder wird als rein ästhe- tische Greschmacksrichtung aufgefaßt. Die ersten Zweifel, ob der Empfindung des Schönen nicht doch eine erotische Unterströmung beigemischt ist, pflegen in der Keife zeit aufzutauchen, wenn sich zu dem Lustgefühl das Schamgefühl gesellt. Instinktiv fängt der junge Mann oder das junge Mädtehen dann an, sich des Wohl- gefallens zu schämen, das der Anblick des schönen Fußes oder Schuhes in ihnen auslöst, sie erröten bei ihrer Erwähnung und unterdrücken Äußerungen darüber, weil sie von ihnen als peinlich empfunden werden.
Dabei ist es sehr beachtenswert und differentialdiagnostisch von entscheidender Bedeutung, ob jemand einen Gegenstand am eigenen oder fremden Körper begehrt. Der wirkliche Fetischist interessiert sich lediglich für den Teil oder die Sache an einer an- deren Person, oder für das Ding an sich. Er selbst trägt meist sogar das Gegenteil von dem, was ihn bei einem zweiten Menschen fetischistisch fesselt; liebt er Frauen mit kurzgeschnittenen Haaren, so hat er die Neigung, sich die seinigen lang wachsen zu lassen; ist er auf Lack-, Schnür- oder Knopfschuhe eingestellt, so findet man ihn selbst vielfach in plumpen Zug-, Schnallen- oder Rohrstiefeln. Wohl kommt es vor, daß jemand ein fetischistisches Kleidungsstück anlegt, um es in möglichste Nähe mit sich zu bringen, aber meist nur vorübergehend, sehr selten auf die Dauer. Erstreckt sich hin- gegen seine Leidenschaft darauf, Samt und Seide, Perlen und Dia- manten oder gar Frauenkleider am eigenen Leibe zu haben,; so sind dies Begehrungsvorstellungen, die in das früher geschilderte Gebiet des Narzißmus, Transvestitismus oder Zisvestitismus fallen; sexuel- ler Autismus und Altruismus verhalten sich zueinander wie Eitel- keit zu Neugier. Freilich werden oft auch Fetische angelegt, um Fetischisten anzulocken; namentlich die Prostitution bedient sich seit alters bewußt und unbewußt solcher Reizmittel („Reizstrümpfe", „Lockstiefel", „Lockpelze" u. a.) in großem Umfange.
Es gibt allerdings auch Fälle, in denen die Differentialdiagnose zwischen Automonosexualismus und Fetischismus sehr schwer zu ziehen ist; in dem Bestreben, den geliebten Gegenstand in möglichst engen Kontakt mit dem eigenen Körper zu bringen, wird er für längere oder kürzere Zeit angelegt, jedoch nicht wie bei Trans- und Zisvestiten als Projektion des eigenen Persönlichkeitswesens, sondern als ä u ß e r 1 i c li erregendes Sexualobjekt. Ich gebe ein Beispiel, in dem die Lust, den Fetisch an anderen zu sehen, zu be- sitzen und selbst zu tragen, unmittelbar ineinander übergeht. Die Zuschriften unseres Gewährsmannes sind auch deshalb beachtens- wert, weil sie uns einen Einblick in den einseitigen Gedankengang mancher Fetischisten gewähren, die nur für Fragen Interesse haben,
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die mit ihrem Fetisch in loserer oder festerer Verbindung stehen. Der Fetisch ist bei diesen Leuten förmlich der Kern, um den sich das ganze übrige Leben in konzentrischen Kreisen herumlagert. K., der, wie seine Ausdrucksweise zeigt, aus unverbildeten Volks- schichten stammt, schreibt:
„Ich möchte Sie um Auskunft bitten, ob es für mich- unnatürlich wäre, wenn ich mir Damenstiefel erwerben würde, mit ganz hohem Schaft, wie sie jetzt gerade Mode, um, wenn es mir ganz kritisch ist, sie auf eine halbe oder viertel Stunde anziehen zu können. Wenn ich die Stiefel stets nur im Geiste, in der Phantasie vor mir habe, glaube ich, schadet letzteres weit mehr als in natura; zudem wenn ich sagen kann, ich habe die allerelegan- testen selbst zu Hause, lassen mich vielleicht die der Trägerinnen kalt, die ich immer auf derStraße ansehen muß, freilich nur die, welche elegante, hochglänzend gekrSmte Chevrci^uxstiefel mit ganz hohem Schaft und hohen Absätzen tragen. Durch die jetzigen hohen Modestiefel ist die Geilheit in mir über alle Maßen erwacht, deshalb tauß ich etwas anziehen, damit ich befreit werde. Sonst kriege ich bösartige Kopf- schmerzen, wenn ich aber Damenstiefel anhabe, fühle ich mich königlich und zufrieden."
In einem anderen Briefe heißt es: ,,Ich leide seit meiner Jugend an krankhafter Voreingenommenheit für Damenlackschuhe und Damenstiefel Init ganz hohen Absätzen. Das Gefühl der Unnatürlichkeit hielt mich stets davon ab, meinem Triebe nachzugehen, nun verdichtet es sich aber infolge der ausgeprägten Entwicklung der •Damenschuhmode, mit Einsatz, Schnür- und Knopfstiefel und Spangenschuhen in allen erdenklichen zier- lichen Ausführungen; ich bekam es durch den Anblick. Auf dem Jahrmarkt war ein Varietö Schichtl und vor Beginn der Vorstellungen kamen immer hübsche junge Damen in Ballkostülncn heraus auf die Rampe zum Vorstellen vor dem Publikimi, und diese Mäd- chen trugen Lackballschuhe; eines von diesen Mädchen mußte auf einen Stuhl steigen. Neben ihr stand ein hoher, eiserner Ständer; ich war 12 Jalir alt, als ich das' alles sah. Der Direktor Schichtl nahm ein Fläschl und hielt es dem jungen Mädchen unter die Nase, worauf das Mädchen die Augen zu machte. Dann machte der Direktor das Mädchen an dem Ständer an und auf einmal war das Mädchen in dem Ständer an den Hüften ein- geklemmt und das Mädchen war wagerecht ausgestreckt auf dem Ständer. Das Haar hing offen herunter und die schönen Ballschuhe mit den hohen Absätzen verursachten einen solchen Vorgang in meinem Kopfe, daß ich gar nicht wußte, was 'mit mir war; als ich heim kam, zog ich noir gleich dieselben Schuhe meiner Schwester an.
Jahre gingen so fort, ohne zu wissen, was das ist, bis ich in der Zeitung von einem las, der einem Mädchen den Zopf abschnitt. Durch anschließende redaktionelle Bemer- kung kam ich darauf, daß ich auch Fetischist bin. Ich habe keine Ruhe mehr. Ich inöchte gerne Damenstiefel mit extra hohem Schaft und hohe Absätze Nr. 42 kaufen zum Tragen. Aber stets im letzten Moment reut mich das Geld zur Einsendung, da extra angefertigt werden muß und handelt es sich um 35 Mark, für die die Firma Tack & Co. sie liefert. Wenn ich bloß eine Quelle wüßte, wo ich solche gebraucht oder fast neu billiger bekommen könnt«. Ich finde, daß es mir im Kopf mehr schadet, wenn ich die Stiefel im"mer nur im Geiste von mir haben muß, anstatt sie in Wirklichkeit auf eine 1/4 oder eine 1/2 Stunde tragen zu können, worauf ich einen bis drei Mo- nate wieder Ruhe hätte. Bin für ganz hochabsätzige Damenstiefel mit ganz hoheto Schaft und für Spangenschuhe, resp. Bühnenschuhe."
Es bildet nun aber niemals ein Teil ganz im allgemeinen die Sehnsucht des Fetischisten, sondern nur dann, wenn er von ganz bestimmter Beschaffenheit ist, wird er so stürmisch verlangt. Die Sinnesorgane wenden sich zwar zu- nächst spontan im allgemeinen nach den betreffenden Teilen (aus der Blickrichtung eines Menschen kann ein Kenner in dieser
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Hinsicht gewichtige Schlüsse ziehen, die Sinne bleiben an einem Teil aber nur dann lusterfüllt haften, wenn dieser Teil spezielle Eigenscliaften besitz't. Es wird also niemals jemand, der schöne Augen liebt, durch jedes Auge gefesselt, sondern nur durch die, auf welche er subjektiv lustbetont reagiert : Augen von besonderer Art, Form, Farbe und Umrahmung, etwa solche mit langen Wim- pern. Wie das Sehorgan nur Gesichtseindrücke von eigener Artung wünscht, so sucht auch das Ohr bestimmte Tonhöhen und Klang- farben, und auch das Geruchs- und Gefühlsorgan nicht alle, sondern nur gewisse Gerüche und Tastempfindungen. So wird der Sexualpartialis m US zu einem Sexualpartialspezia- 1 i s m u s , der eine ganz außerordentlich große Differenzierung be- dingt. Dieser erotische Schönheitsbegriff ist ein absolut persönlich gefärbter, wie es ja überhaupt fraglich ist, ob es eine objektive Schönheit gibt, so sehr sich auch Ästhetiker bemüht haben, be- stimmte Harmoniegesetze für Formen, Farben und Töne aufzu- stellen. Mögen solche Regeln in der Ästhetik vielleicht objektive Gültigkeit haben, in der Erotik versagen absolute Schönheitsgesetze völlig, so daß der generalisierende Ausspruch: „die Liebe macht blind" von einer völligen Unkenntnis sexualpsychologischer Ele- mentargesetze zeugt.
Fast ausnahmslos ist die gesuchte spezielle Formation der Eigenschaften eine solche, daß sie in ihrer Besonderheit und Verbindung nur dem einen oder dem anderen Geschlecht zukommen und innerhalb dieses Geschlechts nur einem kleinen Bruchfeil, oft nur ganz wenigen Einzelwesen angehört. Es ist klar, daß diese Personen untereinander sehr unähnlich sein können, wenn nur die anziehenden Erfordernisse, etwa ein bestimmter Gesichts- ausdruck oder eine gewisse Bewegungsart, vorhanden sind. Da diese Personen im übrigen blond oder dunkel, groß oder klein, stark oder schwach, kurzum verschieden geartet sein können, so glauben die Liebenden oft selbst, daß sie sich zu ganz verschiedenen Menschen hingezogen fühlen, wie dies ja auch die attraktiv wirkenden Per- sonen tatsächlich sind; nur besitzen sie alle ein „gewisses Etwas", und dieses, das Gemeinsame und Typische, ist eben das Anziehende.
Das Detail der Partialreize ist ungemein minimin und mannig- fach, wie leicht zu erkennen ist, wenn man von einer größeren Reihe befragter Personen die Wünsche zusammenstellt, die von den ein- zelnen bezüglich eines sie anziehenden Körperteils geäußert werden. So erstreckt sich, um nur ein Beispiel herauszugreifen, die so ver- breitete Anziehung der Haare nicht etwa nur auf die Farbe und Fülle des Haupt- oder Körperhaares, auf seinen Geruch, seine Weichheit oder Härte, sondern vor allem auch auf die Haar-
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t r a c h t. Der eine liebt nur offenes, der andere zum Zopf gefloch- tenes, der dritte gescheiteltes Haar.
Ich gebe das Beispiel eines Haarfetischisten. Patient, der über 10 Jahre in meiner Beobachtung steht, ist höherer Eegierungs- beamter, 50 Jahre alt; ^s seinen Berichten geht folgendes hervor:
Als Patient 7 Jahre alt war, kam eines Abends, als die Kinder schon im Bette lagen, ihr junges Dienstmädchen zu ihnen und umarmte sie, da sie wegging. Dieser Moment steht Pat. nocli deutlich vor Augen, wie er ihr damals ins Haar gegriffen hat. Mit Eintritt der Pubertät kommt der Zusammenhang der sexu- ellen Erregung beim Anblick oder Berühren eines schönen Scheitels zum Vorschein. Es beschränkt sieh die Auslösung der Erregung von da ab aber nur auf das Haar bei Männern, Frauenhaar flößt ihm absolut keine Beach- tung mehr ein, und auch bei Männern nur das glatte, braunschwarze Haar mit einem Scheitel, der durchgezogen sein muß. Zwar be- achtet Pat. auch den vorderen Anfang des Scheitels, doch ist die Lage nicht so sehr von Bedeutung, ein zu weites Sitzen nach der Seite wird nicht als schön empfunden. Pat. bevorzugt junge schüchterne Leute, sie müssen sich aber recht natürlich geben; beson- deren Genuß und Auslösung seiner sexuellen Erregungszustände findet er beim Fri- sieren. Er nimmt dies folgendermaßen vor: Er steht hinter dem Betreffenden, feuchtet das Haar an mit Öl und Pomade, die er ebenso wie Kämme stets in der Tasche trägt, und zieht dann einen Scheitel. Beim Durchziehen des Scheitels über den Wirbel tritt Ejakulation ein, doch auch schon das Streichen des glatten Haares mit den Händen, das „Glätten" löst bei ihm diesen Moment aus, zumal wenh er die Rückseite des Betreffenden mit seinem Körper bei Annäherung an den Scheitel leicht berührt. Er entblößt dabei nicht seine Geschlechtsteile, doch "meint ei, daß dieses ihm größeren Genuß bereiten wyrde, aber aus Schamgefühl unterbleibt es. Er selbst trägt auch einen durchgezogenen Scheitel und frisiert sich sehr oft. Doch bringt es ihm viel größeren Genuß, wenn er einen anderen frisieren kann. Allein der Anblick eines Scheitels läßt ihn dem betreffenden Träger hinterherlaufen und ihn ansprechen; wenn er als junger Offizier zu einem Mädchen ging, um zu koitieren, zog er sich selbst einen sehr gutsitzenden Scheitel; im entscheidenden Moment stellte er sich einen schönen Scheitel vor, als höchstes Symbol seiner sexuellen Empfindung. Das Abschneiden von Haaren zur Erinnerung oder aus Zwang ist Pat. nicht verständlich, doch könne er sich wohl vorstellen, „daß er von einem sehr lieben Freund, der auf dem Sterbebette läge und ihm endgültig verloren ginge, eine Locke zum Andenken mitnehmen würde". Seine Hauptideenassoziation läuft über den Anblick eines schönen Scheitels zurück zur Erinnerung an die schönsten Stunden, in denen er jungen Leuten einen Scheitel ziehen durfte, „als Ausdruck seiner höchsten Gefühls- und Gedankenwelt, in der er sich wie in einem geschlossenen Pving bewegt, dessen Zentrum ein schön durchgezogener, festanlie- gender, braunschwarzer Scheitel bildet, der Brennpunkt in einem Weltsystem, in dem nur wenig Licht in weiter Finsternis das Leben verrät." Pat., der durch sein seltsames Ge- baren verschiedentlich auffällig geworden, führt in den Lokalen, in denen er sich mit Vorliebe aufhält, den Beinamen der „Frisierer". Diese Lokale entsprechen übrigens in keiner Weise seiner aristokratischen Abstammung, sondern dem volkstülnliehen Milieu, in dem er sich am wphlsten fühlt.
Aus dem Gresagten erhellt, daß die Grenze zwischen gesun- dem und krankhaftem Fetischismus und ebenso auch zwischen dem „petit" und ,,grand fetichisme" keineswegs leicht zu ziehen ist. Die Haarlocke des geliebten Mädchens im Medaillon ihres Liebhabers ist gewiß ein sehr verbreiteter Fetisch, in dessen Auf- bewahrung schwerlich jemand etwas Krankhaftes erblicken dürfte;
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nennt aber ein Mann mehrere hundert Haarbüschel sein eigen, — ein Fall, den i-ch wiederholt, so erst vor kurzem in meiner forensischen Praxis erlebte — -, jedes mit einem bunten Seidenbändchen und dem Namen der einstigen Besitzerin versehen, aus deren pubes die Haare stammen, so wird man ebensowenig Bedenken tragen, in diesem Sammeltrieb den Ausdruck eines pathologischen Fetischismus zu erblicken.
Daß der Fetischismus mit einem objektiven Schönheitssinn, falls es solchen überhaupt gibt, wenig gemein hat, lehren die zahlreichen Beispiele, in denen sich Fetischisten für verbildete, verkrüppelte und verstümmelte Körperteile leidenschaftlich erwärmen, einer Neigung, der auf dem Gebiet dies Kleidungsfetischismus eine Vorliebe für zer- lumpte Gewänder und zerrissene Schuhe entspricht. Ein Seiten- stück zu der Liebhaberei des Philosophen Cartesius für schielende Frauen erlebte ich in meiner Praxis, die schwärmerische Vorliebe eines Patienten für die Glotzaugen an Morbus Basedowii leidender Frauen. Auch auf lahme und bucklige Mädchen sind manche Männer „scharf", und ebenso gelegentlich Weiber auf hinkende und verwachsene Männer, ganz besonders auch auf solche, die im Krieg em Glied verloren haben. Folgender Fall von Krückenfeti- schismus wurde von Dr. A. KTonfeld und mir beobachtet:
Dr. S., Schriftsteller, holländischer Abstammungj 30 Jahre alt, wird von seiner Gattin zur Konsultation veranlaßt. Er mute ihr beim ehelichen Verkehr' zu, an Krücken zu gehen, die Krücke mit ins Bett zu nehmen; er gehe auch selber dabei an Krücken. Fat. gibt an, seine ersten sexuellen Regungen seien dainit verknüpft gewesen, daß er als Sjähriges Kind einem Knaben zuschaute, der an Krücken ging. Seitdem übe der A n - blick von Krücken einen faszinierenden geschlechtlichen Reiz auf ihn aus. Das Weib als solcjies sei lange Jahre hindurch für ihn als Geschlechts- wesen gar nicht in Frage gekommen. Seit der Pubertät habe er in der Vorstellung an Krücken geschwelgt, habe sich auch mehrfach welche gekauft, immer aber nach einiger Zeit sie aus Scham und Ekel fortgeworfen oder verbrannt. Es habe aber nicht lange ge- dauert, so habe er sich neue gekauft. Besonderen Lustgewinn habe er empfunden, wenn er an solchen Krücken des Abends heimlich ausgegangen sei. Es sei aber nicht der Ge- danke gewesen, von Vorübergehenden bemitleidet zu werden, sondern die Krücken selber init den weichen Achselpolstern hätten ihn erregt, i Er habe bis zur Ehe keusch gelebt. Seine jetzige Frau sei seine erste Liebe. Sie sei 16 Jahre älter als er und habe ihn, abgesehen von ihrem geistigen Wesen, dadurch gefesselt, daß sie immer so reiches Pelzwerk trage, welches ebenfalls einen starken erotisierenden Reiz ausübe. Sie habe ihm anfangs volles Verständnis entgegengebracht. Besonders glücklich sei er in der Ehe gewesen, wenn seine Frau ihn unter die Schultern faßte, um ihn zu stützen, da er sehr schwächlich sei, oder wenn er seine Frau in der gleichen Weise beim Treppensteigen unterstützte. Neuerdings aber fühle die Frau sich hinter den Krücken des Mannes in ihrem erotischen Wert zurückgesetzt; ein Einwand, der in ähnlicher Weise nicht selten von Frauen in Hinblick auf Fetische ihrer Männer er- hoben wird.
Der etwas gebückt gehende, lang aufgeschossene, aber schwächliche Mann bietet am Nervensystem keine besonderen Befunde. Psychisch ist er ein weicher,, sensitiver, leicht verletzlicher Charakter, von feinem poetischen Empfinden und großer Beeindruckbarkeit. Eine Suggestivbehandlung erzielte einen vorübergehenden erheblichen Erfolg.
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Wir wollen den seltsamen Krückenfetischisten, der kelneswegsder einzige seiner Art ist, den ich beobachtete, noch selbst zu Worte kommen lassen; er schreibt:
„Ich bin am 15. Mai 1890 geboren. Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt etwa 46 Jahre, meine Mutter 33 Jahre alt, beide meines Wissens durchaus normal. Als ich 51/2 Jahre alt war, verzog mein Vater mit uns nach R. Dort sah ich täglich vor un- seren Fenstern auf der Straße einen Jungen von etwa 12 Jahren spielen, der infolge seines verkrüppelten rechten Beines an einer Krücke ging. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden, sondern etapfand schon damals einen mir natürlich in diesem Alter nicht erklärlichen Reiz, den Jungen zu beobachten. Weiter entsinne ich .mich aus der R . . . euer Zeit, auf Spaziergängen mit meiner Mutter öfters einen gutgekleideten Herrn gesehen zu haben, der an Krücken ging, aber wie ich mich noch entsinne, offenbar ebenso ,,mark i e r t e", wie ich dies später tat.
Nach dem Tode meines Vaters zog meine Mutter nach Berlin. Damals, in iiijeinem 11. Lebensjahre, begannen meine ersten „Gehversuche" an Krücken. Genau vermag ich es allerdings nicht anzugeben, es kann auch später mit etwa 15 Jahren gewesen sein. Letzteres halte ich für wahrscheinlicher. Jedenfalls besinne ich mich erst von dieser Zeit ab — ich hatte mit 14i/o Jahren einen sehr schweren Fall von Gehirnhautentzündung und Genickstarre durchgemacht — auf aktive anomale Empündungen. Seit dieser Zeit habe ich — in großen Zwischenräumen — mir anfangs selbst Krücken aus Besen- stielen und dergleichen hergestellt, und bin heimlich im Zimmer daran gegangen. Später habe ich als Student, zuerst in Kiel, dann noch weitere dreimal, Krücken gekauft, und bin nunmehr, gewöhnlich spät in der Nacht, längere Zeit daran in den Straßen spazieren ge- gangen. Eine Ausnahme bildet die Zeit, bevor ich "meine jetzige Frau kennen lernte. Ich habe njeine Scheu vor der Öffentlichkeit damals — Winter 1917 — soweit überwunden ge- habt, daß ich während meiner Referendarzeit in L., mit Ausnahme der wenigen Schritte zum Gericht, etwa 14 Tage lang auch am Tage an Krücken ging.
Ich bin bis zu meinem 26. Lebensjahre nicht bei der Frau gewesen. Eine auch noch so geringe homosexuelle Ettipfindung habe ich nie verspürt. Dagegen hatte ich vor dem normalen Verkehr stets eine große Scheu. Teils hinderte mich meine anerzogene Schüchternheit, teils Furcht vor Ansteckung, teils sehr knapp bemessenes Taschengeld, mir auf der Straße eine „Gefährtin" zu suchen. Also, ich onanierte. Gewöhnlich einmal, selten zweimal jede Nacht. Als Anreiz stellte ich mir schöne Frauen vor, in große Pelze gehüllt, an Krücken gehend!
Ich habe mir in den drei Monaten meiner Verlobung, — ich wohnte bereits bei Ineiner Braut, verkehrte aber nicht mit ihr, mit eiserner Energie die Onanie völlig abge- wöhnt. Der Hang zur Onanie ist erloschen! Oder wenigstens, Inein Wille 'ist stärker als jener Trieb. Dagegen kann ich es nicht verhindern, daß beim Anblick normal ge- bauter und gut gekleideter Menschen, besonders Damen, die an Krücken gehen, "mein Glied sich steift. Beim Anblick von Bettlern oder Amputierten habe ich diese Emp- findungen in keiner Weise! Ebenso wird mein Organ erregt, wenn ich Pelzwerk fühle. Aber dieser Zustand tritt eigentlich nur dann ein, wenn ich meine Frau in ihren Pelz hülle, oder ihr zum Nachmittagsschlaf eine Pelzdecke überbreite, und endlich, wenn ich bei ineinem eigenen Pelz den Kragen hochschlage.
Überhaupt haben beide anormalen Empfindungen sich seit der Zeit meiner Ehe — ich habe im ]\Iärz dieses Jahres geheiratet — völlig auf meine Frau beschränkt, die ich über alles liebe und die ich mir in schweren Kämpfen errungen habe. Pelze und Krücken! Meine Frau ist IS^/g Jahre älter als ich! Aber, wir haben beide uns geprüft, wir haben uns zweimal im Zorn völlig getrennt gehabt, wir sind ein drittes Mal zuein- ander getrieben, und sind glücklich! Nur eines, und daher meine Beichte. Nicht der Reiz geschlechtlicher Empfindung ist es, der mich persönlich manchmal danach schreien läßt, wieder einmal an Krücken gehen zu können. Es ist ein Gefühl körperlicher Müdigkeit, das ich z. B. empfinde, wenn ich lange in der Straßenbahn stehen muß, wenn ich als Redakteur weite Wege zu Fuß g'ehen muß usw. Es ist ein Wunsch in meinem Gehirn, der stärker ist als ich, der mich bis zur nervösen Überreiztheit quält. Dazu kommt ein anderes Moment. Meine Frau hat mir einmal erzählt, daß sie selbst, infolge eines rheu-
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matischen Leidens, mehrere Monate in Aachen an zwei Krücken gegangen ist. Und nun, da sie von Natur sehr blutarm und schwächlich, ist, muß ich immer an jene Zeit denken, und wünsche mir so heiß, daß sie einmal mir den Willen erfüllt und vor inir an Krücken, und in ihren Pelz gehüllt, erscheint, mit mir so spazieren geht!
Zum Schluß noch eins. Ich bin sexuell nicht so stark, wie ich es als normaler Mensch sein müßte, und soviel ich selbst und auch meine Frau beurteilen können, sind meine Hoden auch tatsächlich etwas verkümlnert. Mehr als einmal, höchstens zweimal kann ich im Zwischenraum von etwa einer Stunde einen Koitus nicht ausführen. Oft passiert es mir auch, daß ich lange Zeit brauche, bis der ferste Erguß erfolgt. Besonders ist dies der Fall, wenn ich am Tage angestrengt geistig gearbeitet habe. Um mir dann behilflich zu sein, greift meine Frau mir dann, wörtlich genomtaen „unter die Arme", oder erzählt von ihrer Zeit, da sie an Krücken ging. Und das hilft fast immer. Doch meine Frau kann sich trotz aller Liebe in meine Gedanken und Wünsche nicht so ganz hineindenken. Vor allem ist sie unglücklich, wenn bei Gesprächen über Pelze oder auch Krücken mein Glied sich erregt. Sie, die geschlechtlich trotz des Altersunterschiedes, die stärkere von uns beiden ist, glaubt, daß ich ihr durch solche Gedanken wider meinen Willen einen Teil meiner Liebe entziehe. Und das ist nicht wahr.
Aber, meine Frau ist nahe an 44 Jahren. Ich bin ja zum Glück — sonst hätte mich der Altersunterschied abgehalten — geschlechtlich nicht so stark, um nicht auch schon in 10 Jahren oder noch früher geschlechtlich sehr enthaltsam leben zu können. Und glaube ja, daß später meine Frau selbst, wenn bei ihr die geschlechtliche Regung schwächer zu werden beginnt, eher sich zu Hilfsmitteln, wie Krücken verstehen würde. — Doch darauf kommt es mir jetzt nicht an. Gerade die Jahre, da wir beide jung sind, sollen doch ein Glücksrausch sein! Ohne Schatten, in gegenseitigem Allesverstehen, und — und das allein ist mein Sehnen, — Alleserfüllen, wonach die Seele schreit.
Einen langen weichen Sealpelz hat sich meine Frau gekauft, mir zuliebe. Doch mein Sehnen nach den Krücken?! Ich kann es ihr von allein picht antun, selbst an Krücken zu gehen, und sie selbst — vermag es noch nicht über sich zu bringen, die Zeit von Aachen wieder erstehen zu lassen. Diese letzten beiden Sätze enthalten mein ganzes, trauriges Los.
Man brachte auch hier wieder den Übergang von der aiitisti- schen zur fetischistischen Einstellung. Ferner ist in diesem Fall höchst bemerkenswert das sich aus dem Gefallen und Verlangen nach Krücken ergebende Schwächegefühl. Ähnliches sieht man öfter. So glauben Kältefetischisten an Hitzegefühl zu leiden und leiden auch tatsächlich daran, Druckfetischisten flüch- ten in Neuralgien, die durch Treten und Pressen ver- schwinden. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob das Organgefühl primär der fetischistischen Neigung zugrunde liegt, oder um- gekehrt, ob der Fetisch das primäre Bedürfnis ist, zu dessen Be- friedigung und' Erklärung Unlustempfindungen entstehen, die nur der Fetisch zu beseitigen vermag. Daß auch von Männern mit amputierten Beinen und Armen ein fetischistischer Zauber aus- gehen kann, wußte man bereits vor dem Weltkriege durch Fälle, die L y d s t o n und Krafft-Ebing beschrieben haben. Einen von mir beobachteten Hermaphröditenfetischisten erwähnt Bloch in seinem „Sexualleben". Dieser Mann, ein Rittmeister, war ganz von der Zwangsvorstellung erfüllt, Zwitter ausfindig zu machen, mit denen er in geschlechtliche Beziehimgen treten konnte. Ich kenne auch Fälle, in denen sich Männer beson-
I. Kapitel: Fetischismus 13
ders zu Frauen mit^ Spraclifelilern (wie „Lispeln") hingezogen füh- len, und auch eine Frau, die Stotterer allen anderen vorzog, befindet sich in meiner Kasuistik. Sogar ausgesprochene Krankheiten, wie Bleichsucht, Gelbsucht, Schwindsucht bilden fetischistische Ziele, ja, was vielleicht das merkwürdigste ist, nicht einmal Geschlechts- krankheiten erscheinen ausgeschlossen. Eine vornehme Dame, die sich an mich wandte, wurde durch Warzen, Schwielen und vor allem Hühneraugen sexuell erregt. Fetischisten für Holzbeine, Liebhaber für Frauen mit starker Bartentwickluug sind beobachtet worden. Einen merkwürdigen Fall sah ich vor einiger Zeit: einen Mann, der eine leidenschaftliche Neigung für schwangere Frauen hatte. Er suchte auf der Straße nach Frauen, die guter Hoffnung waren, und ging ihnen oft lange Strecken nach. Je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten war, um so heftiger regte sich sein Geschlechtstrieb.
Es scheint, als ob bei allen Anziehungen durch Ano- malien und Defekte, für die noch sehr viel mehr Beispiele beigebracht werden können, das Mitleid ein nicht zu unterschätzen- des Motiv der Zuneigung ist.
Ganz charakteristisch schreibt eine Patientin: „Vor vier Jah- ren lernte ich meinen Mann R. kennen; Schweizer von Geburt; furchtbar häßlich, wie seine Schwester; beide seit langen Jahren verwaist. Ich lernte ihn auf einer Gesellschaft kennen. Ich hatte gleich Zuneigung zu ihm, weil er häßlich war; ich habe häßliche Leute immer gerne, weil sie meistens von den Menschen schief angesehen werden, besonders wenn sie Gebrechen haben, doch habe ich immer in häßlichen Menschen gute, goldene Herzen gefunden. Sogenannte schöne Männer sind mir dagegen direkt zuwider."
Es gibt Männer und Frauen, die von nichts erotisch mehr ein- genommen sind, als von der Hilflosigkeit des anderen. Sowohl aus der Beherrschung als aus der Bedienung solcher Wesen ziehen sie Lustgewinn. Die Mehrzahl der Ehen, die wegen der Stärke gesell- schaftlicher, körperlicher und sonstiger Gegensätze Dritten unbe- greiflich erscheinen, erklären sich aus fetischistischer Reizwirkung.
Worin aber findet diese selbst ihre Erklärung! Binet hat 1887 in der Revue philosophique (Paris Nr. 8) die These aufgestellt, daß hier ein ,,choc fortuit" ein psychisches Trauma wirksam sei, und fast alle Autoren dieses Gebietes haben seither mit verhältnismäßig geringen Modifikationen ähnliche Anschauungen vertreten,' so Ziehen^), der von „determinierenden" Erlebnissen spricht und auch die Freudsche Schule, die den „akzidentellen Faktoren" und „infan- tilen Eindrücken" ein sehr großes, nach unserer Überzeugung allzu großes Gewicht beilegt. Freud selbst hat sich allerdings wie-
2) Oharitö-Annalen 1910, S. 242 ff.
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derholt gegen den mißverständlichen Vorwurf gewandt, als hätte er die Bedeutung- der angeborenen konstitutionellen Momente ge- leugnet, weil er die der infantilen Eindrücke hervorgehoben habe; er schreibt: „Ein solcher Vorwurf stammt aus der Enge des Kausal- bedürfnisses der Menschen, welches sich im Gegensatz der gewöhn- lichen Gestaltung der Realität mit einem einzigen verursachenden Moment zufrieden geben will. Die Psychoanalyse hat über die akzidentellen Faktoren der Ätiologie viel, über die konstitutionellen wenig geäußert, aber nur darum, weil sie zu den ersteren etwas Neues beibringen konnte, über die letzteren hingegen zunächst nicht mehr wußte, als man sonst weiß. Wir lehnen es ab, .einen prinzipiellen Gegensatz zwischen beiden Reihen von ätiologischen Momenten zu statuieren; wir nehmen vielmehr ein regelmäßi- ges Zusammenwirken beider zur Hervorbringnng des be- obachteten Effekts an. Beide gemeinsam bestimmen das Schicksal eines Menschen; selten, vielleicht niemals, eine dieser Mächte allein. Die Aufteilung der ätiologischen Wirksamkeit zwischen den beiden wird sich nur individuell und im einzelnen vollziehen lassen. Die Reihe, in welcher sich wechselnde Größen der beiden Faktoren zu- sammensetzen, wird gewiß auch ihre extremen Fälle haben. Je nach dem Stande unserer Erkenntnis werden wir den Anteil der Konsti- tution oder das Erlebnis anders einschätzen und das Recht behalten, mit der Veränderung unserer Einsichten unser Urteil zu modifi- zieren." Wer allerdings vorurteilslos die Arbeiten der Psychoana- lytiker prüft, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß in ihnen der äußeren „Tücke" des exogenen „Zufalls" eine ungleich größere Rolle zuerkannt wird, als dem inneren „Dämon", der sexuellen Konstitution.
Auch Krafi:t-Ebing, welcher in bezug auf andere Erscheinungen des Sexuallebens, wie der Homosexualität, des Masochismus und Sadismus, die Theorie Binets mit Entschiedenheit verwirft, macht hier eine Ausnahme, indem er in bezug auf den Fetischismus die Lehre vom „accident agissant sur un sujet predispose" akzeptiert. Unter „accident" soll hierbei ein beliebiges zufälliges Geschehnis, unter „predisposition", wie Binet ausdrücklich hervorhebt, nur eine allgemeine nervöse Hyperästhesie versl^^nden werden. Mir erscheint die Hypothese der okkasionellen Verknüpfungen, deren Vertreter um die Prädisposition,, also das Konstitutio- nelle und Endogene doch nicht herumkommen, in ihrer bisherigen Form gänzlich unzureichend. Tatsächlich handelt es sich bei der Annahme, daß eine erstmalige und von da ab dauernde sexuelle Exzitation und Attraktion primär durch das reiz- auslösende Objekt, nicht aber durch die individuelle Beschaffenheit der sexuellen Empfangsorgane im Nervensystem bedingt ist, um eine Theorie, die bisher weder bewiesen ist, noch kaum bewiesen
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werden kann. Denn daß das erstmalige Zusammentreifen des ent- wickelten Geschlechtssinnes mit dem, was „sein Fall" ist, Lustemp- findungen auslösen muß, die, wenn sie eine bestimmte Stärke er- reielit haben, auch als solche ins Bewußtsein dringen, bedarf als selbstverständlich kaum einer Erörterung; vergleichen wir aber die Ubiquität geschlechtlicher Reize mit der Rarität der individuellen geschlechtlichen Reaktion, berücksichtigen wir den enor- men Elektivismus, welcher den menschlichen Greschlechts- trieb beherrscht, denken wir daran, daß an demselben Objekt, das die einen in die höchste Ekstase versetzt, Millionen andere acht- los und reaktionslos vorübergehen, so liegt es nach allen Gesetzen der Logik klar zutage, daß nur die Beschaffenheit der sexuellen Psyche, der nervösen Zentralorgane, daß es nur die spezifische Konstitution sein kann, welche den Aus- schlag gibt. Von dem bestimmten individuellen Gepräge unseres Inneren hängt es ab , was wir als Reiz emp- finden, nicht vom Reiz als solchen. Dafür spricht auch die elementare, zielstrebende Durchschlagskraft, mit der allem Wollen und Wünschen, Einflüssen und Einflüsterungen zum Trotz der Ge- schlechtstrieb auf sein Reiz-Ziel, sein Objekt lossteuert, auf das- selbe „fliegt".
In der Liebe gibt es keinen Zufall, in ihr ist alles Gesetz. Als zufälliges Ereignis pflegen wir eines zu bezeichnen, in dem zwei Kausalreihen sich kreuzen; im vor- liegenden Falle begegnen sich die akzidentelle äußere und die konstitutionelle innere Ur- sache; selbst wenn aber in einem konkreten Falle ein Vorgang nachgewiesen ist, in welchem ein belebtes oder unbelebtes Objekt die erste Libido hervorrief, ist dA^it noch nicht erwiesen, daß durch dieses Erlebnis die Neigung „erworben", „determiniert" wurde, denn eininal muß sie doch begonnen und sich in der Begegnung zuerst geäußert haben. Die ganze Theorie schwebt umso mehr in der Luft, als Krafft-Ebing in t)bereinstim- mung mit Binet selbst sagt (1. c. S. 166): „Die Gelegenheit, bei welcher die Assoziation entstanden ist, wird in der Regel vergessen. Nur das Resultat der Assoziation bleibt bewußt." Gewiß wird mau sich hinsichtlich der Teilanziehung nicht ohne weiteres zu der Annahme entschließen können, daß etwa eine Vorliebe für zusammengewachsene Augenbrauen, für Manchesterhosen, Zigaretten- oder Juchtengeruch angeboren sein soll; allein ebenso unbegründet ist es zu glauben, daß, nachdem sich in der Jugend eines Menschen ein zufälliges, fast nie nachweisbares Ereignis vollzogen hat, in welcheta der Eindruck eines meist doch ganz alltäglichen Objektes eine Rolle spielte, dieses nun dadurch auf Lebensdauer eine so ausgesprochene sexuelle Bedeutung gewinnen soll. Hier müssen offenbar viel kompliziertere Zusammenhänge in Betracht kommen, die mit der konstitutionellen Triebrichtung in einem sehr innigen, wenn auch nicht immer untnittelbar durchsichtigen Konnex stehen. Wie bei jeder Sexualreaktion liegt auch bei der Fetisch Wirkung ein letzten Endes endokrin b edingter Reflex vor.
Daß infantile Eindrücke hier nicht in entscheidender Weise maßgebend sein können, lehrt auch der Umstand, daß Fetischisten sehr häufig an Gegenstände fixiert sind, die in ihrer Jugend über- haupt noch nicht vorhanden waren. Die Kriegserfahrungen haben sich in dieser Richtung lehrreich erwiesen. So bildete die „feld-
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graue" Uniform bald nach ihrem Auftauchen für viele Frauen einen überaus intensiven Fetisch, dem gegenüber die bunte Frie- densuniform vielfach nahezu als Antifetisch wirkte.' Eine alte Dame suchte mich im zweiten Kriegsjahr auf, die von den Leder- gamaschen der Offiziere, wie sie sich ausdrückte, „ganz konfus" geworden sei; ein homosexueller Jurist, 45 Jahre alt, wurde ab 1914 durch das Eiserne Kröiiz in höchste sinnliche Erregung versetzt. Menschen ohne diese Auszeichnung ließen ihn „gänzlich kalt". Schon ein bloi3es Streicheln des schwarz-weißen Ordensbändchens bewirkte Erektion. In diesen Fällen, die sich durch viele ähnliche Beispiele vermehren ließen, anzunehmen, daß der zufällige Anblick des ledernen oder eisernen Gegenstandes auf jeden beliebigen Neuropathen dieselbe Wirkung hätte haben können, beruht, um mit Möbius zu reden, „wie jede Erklärung aus dem Mi- lieu aufOberflächlichkei t".
In folgendem will ich kurz die Erklärung wiedergeben, die ich in meinem „Wesen der Liebe" (S. 152) für den Fetischismus in seinen mannigfachen Arten und Graden gegeben habe. „Primär an- geboren ist zuvörderst der die Lebensrichtung gebende Charakter der eigenen Persönlichkeit. Der so oft zitierte horazische Satz von der ewigen Wiederkehr der Selbst mit der Heugabel nicht auszu- treibenden Menschennatur gehört zu den wahrsten Maximen der Biologie. Gewiß sind Lebensumstände u"nd Lebensweise, die Er- ziehung und allerlei Erlebnisse und Ereignisse für den äußeren Ab- lauf eines Lebens von hohem Belang, aber das Gepräge des Men- schen bleibt. Entsprechend dem Wesender Persönlich- keit ist auch der Geschlechtstrieb und die Liebe in ihrer Eigenart und individuellen Wesentlichkeit einem jeden angeboren, eine Mitgift der Natur, — zum Glück oder Unglück, zum Guten oder Bösen. Der Mensch und seine Liebe sind eine untrennbare Einheit. Aber nicht nur die Trieb- richtung im allgemeinen, gleichviel zu welchem Geschlecht, ist in der Natur des einzelnen begründet, sondern auch die spezielle Vor- liebe für eine in bestimmter Weise charakterisierte Per- sonengruppe dieses Geschlechts. Ob ein Mann ein sich ihm voll hingebendes junges Mädchen liebt, die er seinerseits stützen will, oder eine ältere, geistig überlegene Frau, auf die er sich stützen möchte, ob ein Weib dem schwärmerischen Jünglingstyp oder dem „gesetzten Mann" den Vorzug gibt, alles das ist nicht vom Zu- fall, sondern von der eigenen innersten Natur des Liebenden abhängig."
Wenn nun aber eine besondere Eigenschaft vornehmlich an- regt, das Auge, die Hand, die Kopf- oder Fußbekleidung, so beruht dies darauf, daß dieser Teil in seiner Eigenart als etwas für die Gefühlsrichtung ganz speziell Bezeichnendes empfunden, als
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für den Typus besonders typisch angesehen, als konzentriertes Symbol gefühlt wird. Die Teilanziehung gründet sich also auf kein zufälliges Zusammentreffen, son- dern auch auf die Eigenart der psychosexuellen Natur, nur daß diese verwickelten Assoziationen und anastomosierenden Neuronverbindungen ätiologisch meist schwieriger zu fassen sind, als die Triebrichtung auf ein Geschlecht, einen Typus oder ein Individuum.
Ich stimme demnach mit meinem Freunde Professor L i p p - schütz in Dorpat vollkommen überein, daß es sich bei dem Feti- schismus um etwas ganz ähnliches handelt, wie bei den von dem Physiologen Pawlow in seiner Arbeit über die psychische Sekre- tion der Speicheldrüsen beschriebenen bedingten Reflexen. Wie die Verdauungsdrüsen ihre Absonderung bereits beginnen, be- vor der Mund und Magen die lecker scheinende Speise umschließen, bei ihrem bloßen Anblick, ja bei Nennung ihres Namens oder Er- wähnung einer sich auf sie oft nur entfernt beziehenden Vorstellung sezernieren, so verhält es sich ganz ähnlich mit der Sekretion der Geschlechtsdrüsen bei dem Anblick oder mündlichen, schriftlichen oder bildlichen Erinnerung an ein Objekt, die das nur viel individueller geartete sexuelle Hungergefühl zu sättigen geeignet wäre.
Die mir gelegentlich von Kollegen gestellte Frage: Hängt der Fetischismus etwa auch mit der inneren Sekre- tion zusammen'? ist hiernach insofern zu bejahen, als die psychosexuelle Beschaffenheit und Empfänglichkeit für eine Per- son und mit ihr im Zusammenhang stehende Vorstellungen in der Hauptsache auf der besonderen Mischung männlicher und weib- licher Eigenschaften beruht, diese aber vor allem von dem Ver- hältnis und dem Einfluß des A n d r i n s und Gynäzins auf das nervöse Zentralorgan abhängig ist. Somit ist auch die Reaktions- fähigkeit für einen Fetisch und damit der Fetischismus und Antifetischismus letzten Endes endogen und innersekretorisch ver- ursacht. Zwar handelt es sich um Ideenassoziationen, aber sie ent- stehen nicht beliebig, wie Binet und Krafft-Ebing meinten, durch _ ein okkasionelles Moment, sondern durch Vorstellungen, welche das Subjekt meist, ohne sich dessen bewußt zu werden, mit dem jeweiligen Objekt als seinem Reizziel verknüpft. Dieses oft höchst eigenartige Gedankenspiel zu verfolgen ist eine fesselnde Aufgabe. Wir wollen an einigen Fällen erläutern, wie die Brücke Tiwischen dem Fetischisten und seinem Fetisch zu schlagen ist.
Vor einigen Jahren suchte mich einmal der Geistliche einer Sekte auf, welcher unter großer Überwindung beichtete, daß er eine unglückliche Neigung für hohe Ab- sätze an Frauenschuhen verspüre. Er empfand diese Leidenschaft als große Erniedri- gung, konnte aber nicht davon ablassen, von Zeit zu Zeit Prostituierte zu bitten, gegen
.r8ch£eid , Stiis.\ i: lc(t(. Hl. 2
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Entgelt ihre Absätze küssen zu dürfen. Um dieselbe Zeit schrieb mir ein früherer Offizier: . „Mein Fall sind: Amazonenhafte Weiber, dunkle Augen, volles, schwarzes Haar, volle Formen, kurzer, hoher Fuß und verhältnismäßig großer Umfang des Beines am Knöchel. Eine Stimme, die womöglich jenes Klebrige hat, was sich bei Menschen, die viel im Freien sind, besonders im Süden, oft einstellt und von Gesundheit, Lebens- lust und einem gewissen Uberlnut spricht. An der Kleidung viel Leder, womöglich knar- rend, besonders a"m Gürtel und in der Fußbekleidung. Großen Reiz übtauf mich am weiblichen Fuße ein lederner Schuh oder Stiefel aus, von der fra. nzösischen, hochhackigen Form, wie sie in den 70er Jahren Mode war, andererseits das Benetzen oder Waten einer Frau mit derartiger Fußbekleidung im Wasser. Natürlich wird die Anziehung durch das hinzukommende seelische und geistige Element je nachdem erhöht oder abgeschwächt bis zur völligen Aufhebung. Also bin ich nur in dem Sinne Schuh- und Stiefelfetischist, als dieses Kleidungsstück den Fuß eines auch sonst mir sympatliischen Weibes bekleiden muß, wo es mir dann vor anderem die Idee weiblicher Energie und Entschiedenheit versinn- bildlicht." Unser Patient fährt dann fort: „Der intime Verkehr hat nur mit Weibern und im ganzen sehr selten stattgefunden, wohl nie ohne Mitwirkung der oben bezeichneten Umstände, aber auch nicht ohne das wichtige seelische Moment. Nach Auflösung einer Staatsehe, die ohne Berücksichtigung meiner besonderen Richtung geschlossen und daher unglücklich war, habe ich mich wieder beweibt. Meine Partnerin kennt meinen Geschmack, bietet ihm teils schon durch ihre Eigen- tümlichkeit Nahrung, teils geht sie aus Liebe zu mir darauf ein, soweit es ihre Natur zuläßt. Und nachdem an die Stelle des von meiner ersten Frau zur Schau getragenen Absehens vor "meiner „Abnormität" (wegen* mangelnder Liebe) hier das (von der wahren Liebe gebotene) Eingehen auf dieselbe getreten, ist meine von Jugend an bei ihrer Zartheit eingeschüchterte Natur aus sich herausgetreten, und — ich sehe, im Alter von 52 Jahren, baldiger Vaterschaft entgegen."
Ein Lehrer schreibt: „Ich leide an. Gehörsschuhfetischismus und muß Frauen nachgehen, deren Schuhe beim Gehen knarren. Das taktmäßige Geräusch des feinen Schuhwerks erregt mich geschlechtlich ungemein und schwelge ich solange in diesen Tönen, bis Samenerguß erfolgt." Dieser Fall erinnert an einen von Moraglia berichteten, indem ein Mann dadurch ejakulierte, daß er sich eine Prostituierte mit Schuhen bekleidet, sonst aber nackt, ihm gegenübersetzen und mit ihren Stiefeln krachende Bewegungen ausführen ließ.
"Wie ist die starke Leidenschaft dieser Männer, denen sich der bereits oben beschriebene Fall zugesellt, für eine gewisse Art von Frauenstiefeln zu erklären f Ihr Grundtrieb ist heterosexuell. Ihrer Natur nach, die der Offizier selbst als „zart und verschüchtert" be- zeichnet, liegt das „am azonenh af t e" Weib. Der hochhackige Lederstiefel auf einem weiblichen Fuß verband sich in ihrem Ge- hirn mit der Vorstellung eines recht energischen, entschiedenen „Auftreten s". Er wurde allmählich für sie das konzentrierte und konzentrische Symbol ihres Typus, und zwar schließlich so stark, daß diese Stiefel für ihre sexuelle Erregung auf optischem oder akustischem Wege eine conditio sine qua non wurden.
Ein anderer Patient legt ^weniger Wert auf das Schuhzeug, als auf den Gang einer Frau: „Ich erkenne an dem Gang," schreibt er, „wie sich ein Mensch selbst einschätzt. Und wenn ein Weib so stolz daher schreitet, schmeichelt es meinem Ehrgeiz, einer Person zu gefallen, die so viel auf sich hält. Es erregt mich ungemein, wenn
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ich eine Dame sehe, die nicht kleine trippelnde Schritte macht, son- dern fest auf den Boden tritt, nnd dabei ihre Füße so elastisch und gravitätisch hebt wie ein Pferd. Mit einem Weib, das so selbst- bewußt stolziert, möchte ich am liebsten dann Arm in Arm durch die Straßen gehen, recht weit weg von aller Welt. Ich meine immer, wenn eine so stramm auftretende Frau mich vorzieht und sich von mir geleiten läßt, so beneiden mich die andern darum, daß ein^ so kraftvolle Persönlichkeit, die doch weiß, wie sehr sie Bewunderung verdient, unter vielen mich erwählt hat."
Sehr bezeichnend für diese Auffassung des Partialismus sind folgende Zeilen eines Armf etischisten ; er schreibt:
„Für mich, der ich schöne, gesunde, in voller Schaffenskraft stehende Personen liebe, ist der Arm ein Fetisch; er ist mir wie eine Essenz der mir sympathischen Persönlichkeit ; in ihm spricht sich die ganze mich berauschende Machtfülle einer stolzen, stattlichen, herrschenden Individualität aus. Er ist das Sinnbild der Energie, des kraftvollen Schaffens, das ich an einer mich fesselnden Person besonders liebe."
Ich füge als weiteres lehrreiches Beispiel noch die „Theorie" l)ei, welche ein Nagelfetischist mit' allerlei objektivierenden Schluß- folgerungen für seine heftige Leidenschaft gibt. Er führt folgen- des aus:
„Rein objektiv betrachtet, ist eine schöne, besonders eine weibliche Hand etwas Herrliches. Bilden nun gar den Abschluß der schlanken rosigen Finger rosige, glänzende "Nägel,, die in eine schneeweiße, lange, glattgefeilte runde oder auch nadelscharfe Spitze auslaufen, so kann dadurch die Hand nur an Schönheit und Reiz gewinnen. Mancher mag zwar behaupten, das krallenartige, spitze der Nägel mißfalle ihm, widerspräche seinem ästhetischen Gefühl, das dürfte aber doch wohl nur Geschmackssache sein, wenn jch auch sagen muß, daß durch das Zuspitzen oder das Glattfeilen der Spitze zu einer „runden Spitze" in der Form eines Stachels, wie schon Vatsyayana sagt, eine Hand mit etwas kurzen Fingern und viereckigen Nägeln erheblich verschönt wird. Von dem ästhe- tischen Motoent geht, meines Erachtons durchaus mit Recht, Max Dessoir in seiner in der „Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie"' 3) erschienenen Abhandlung ,,Zur Psycho- logie der vita sexual is" bei der Motivierung der fetischistischen Liebe aus, indem er sagt: „In pathologischer Ausartung leitet das ästhetische Mo- ment zur fetischistischen L i e b e" ')• Indem nämlich das Wohlgefallen an der Schönheit nicht auf der Differenzicrungshöhe verbleibt, sondern sich weiter spezialisiert, s])itzt es sich derart zu, daß beispielsweise schönes Haar oder — > um bei meiner Vorliebe zu bleiben — eine herrliche Hand mit wunderschönen Nägeln allein genügt, die heftigste Leidenschaft zu erwecken. Aus praktischen Gründen — besonders schwere Handarbeit — haben wir Menschen uns gewöhnt, unsere Nägel kurz zu beschneiden. Das nennen wir „Kultur". Die Tiere haben Krallen. Die Menschen müssen sich durch beschnittene Nägel vor der Tierwelt auszeichnen. So die allgemeine Meinung. Aber: wir Menschen, soweit wir nicht zu den niedrigsten, zur Verrichtung schwerer Handarbeit verurteilten Schichten gehören, inüßten uns an den Japanern ein Beispiel nelimen, die sämtlich, wie über- haupt für Körperpflege, so besonders auch für Hand- und Nagelpflege Sinn haben.
3) 50. Band, Berlin 1894, S. 941 ff. *) Ibid. S. 950.
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Bis jetzt gilt freilich immer noch ziemlich allgemein die Ansicht als herrschend, an den Begriff „Maniküre" müßte sich der Gedanke entweder an männerfanglustige Demi- mondänen oder an müßiggehende Glieder der „oberen 10 000" knüpfen. In der Tat maniküren sich von dem „goldenen Mittelstand" die allerwenigsten. Seit einigen Jahren ist allerdings gegen frühere Zeiten erfreulicherweise ein erheblicher Fortschritt zu ver- zeichnen. Auf Hand- und Nagelpflege legten bereits i'm Altertum die Ägypterinnen, Griechinnen, Römerinnen 5) und von asiatischen Kulturvölkern, wie sich das aus Male- reien und Zeichnungen ergibt, vornehmlich die Chinesinnen, Japanerinnen und Siame- sinnen — ' wie heute noch — , in neuerer und neuester Zeit die Türkinnen, Perserinnen (Haremsodalisken) usw., von Ehiropäerinnen namentlich die Französinnen, Italiene- rinnen, Engländerinnen, Ungarinnen, und not least — glücklicherweise! — . unsere Deut- schen ein großes Gewicht. vSie alle trieben und treiben Maniküre, oft mit den raffiniertesten kosmetischen Mitteln. Das neuerdings wieder aufgekommene Zuspitzen der Nägel ist nach meiner Überzeugung keine bloße „Mode" („Modenarrheit" sagen die Banausen), sondern es hat den tiefen psychologischen Grund, daß das Weib, das sich die Nägel sorg- fältig pflegt, lang trägt und zuspitzt, dem Mann, der libid werden soll — das ist nun einmal das Endziel jeder Frau, es liegt in ihrem Wesen — „durch die Blume" andeuten will: „Diese verlockenden, duftenden Hände, diese schneeweißen, langen Nägel laß icli dich küssen, Geliebter, wenn du Fetisch ist bist! Mit diesen weißen, nadel- spitzen Nägeln kratze ich dich; wenn dir eine zartere Art lieber ist, so kitzele ich dicli oder berühre dich ganz leise mit diesen schönen, schimmernden, kühlen Nagelspitzen. die ich etwas abrunde, damit keine Wunde entsteht, wenn du Masochist bist. Und dabei würde nicht nur dein Geschlechtstrieb befriedigt, sondern auch meiner zur Raserei entflamlnt: denn ich bin Sadistin!"
Aus den letzten Bemerkungen geht hervor, daß es neben dem Gesichtssinn vor allem der Hautsinn ist, welcher sich von den langen Nägeln Lust erhofft, in denen dieser offenbar met^- tropische Fetisch ist das verkörperte Symbol einer nach Laune mit ihm umspringenden Herrin er- blickt. Die Ausführungen dieses Nagelf etischisten gewähren uns wiederum einen guten Einblick, wie diese Menschen ihre subjek- tiven Spezialneigungen ästhetisch zu verallgemeinern suchen, fer- ner wie der Fetisch für sie, und zwar meist unbewußt, zum Aus- gangspunkt wird für ihre Studien- und Interessenkreise, die sich allmählich immer mehr von dem ursprünglichen Mittelpunkt ent- fernen. Auch die folgende Mitteilung einer gerontophilen Russin ist eine gute Bestätigung für die symbolistische Auffassung des Fetischismus.
„Ich liebe das seidene Halstuch, weil es mir die Seele, die meiner Ansicht nach nur der seidenen Feinheit gleichkommen kaiin, und die weiche Natur des Geliebten versinnbildlicht. Ebenso geht es mir mit dem Barte. Derselbe muß sehr fein gepflegt, weich, biegsam sein, bis über die Brust reichen, letzteres, weil nur dadurch die volle männliche Überlegenheit zu erkennen ist. Und von grauer Farbe, weil nur diese Bartfarbe de"m Manne das Würdevolle verleiht.
Ein struppiger Bart und ein derbes, wollenes Halstuch würden mich, wenn nicht anwidern, doch sehr gleichgültig lassen. Sollte der Bart des von mir Geliebten infolge Vernachlässigung struppig sein, so würde ich ihn schnell wieder seidenweich und bieg- sam machen, als ob ich fürchten müßte, die Erhabenheit seiner Würde könne durch diese Entweihung irgendwelche Einbuße erleiden. Und trüge er ein wollenes Halstuch,
*) cf. Tibull, Elegieen, 1. Buch unter 8 (a. a. 0;).
I. Kapitel: Fetischismus 21
würde ich es schnell durch ein anderes von Seide ersetzen, weil mir nur durch das letz- tere seine weiche Seele widerspiegeln kann. In Ermangelung beider mich so beseligenden Symbole bin ich xmfähig, eine geschlechtliche Empfindung oder gar Handlung aufzubringen."
Endlich noch ein letztes Beispiel, in dem der Fetisch als er- regendes Symbol für die endokrine Sexualkonstitution sehr markant zum Ausdruck kommt.
Herr B. Z., Student der Nationalökonomie, 21 Jahre alt, zeigt eine eigenartige Form von Fetiselps'mus, nämlich eine hochgradige sexuelle Ficaktion auf Gummi- luftkissen. Herr Z., dessen sehr feminines Wesen seiner Familie schon längst auf- gefallen war, ohne daß sie von den wahren Ursachen seines Wesens eine Atmung hatte, beobachtete an sich nach Beendigung des 14. Lebensjahrs ganz plötzlich einen merk- würdigen Drang, sich Luftkissen zu beschaffen, diese prall aufzublasen und sich an den Leib zu legen. Mit diesen heimlichen Manipulationen, die ihm wollig unverständlich waren, vermochte er zunächst keine Vorstellungen zu verbinden, da er keinerlei Kennt- nisse über sexuelle Dinge besaß. Der rein triebhafte Drang, sich, mit -den Luftkissen einzuschließen, sich ständig tait ihnen in Kontakt zu wissen, wuchs immer stärker an und führte nach kurzer Zeit zu tiefgehenden Verstimmungen, da keine Entspannung eintrat, bis eines Abends, etwa 4 Wochen nach dem ersten Auftreten dieses eigen- artigen Begehrens die erste Ejakulation erfolgte. Er hatte an diesem Abend, wie immer im Bett das Luftkissen prall aufgeblasen, sich dann spontan daraufgelegt, so daß sich die Genitalzone und die Unterbauchregion mit dem Luftkissen berührten. Die von dem Fetisch ausgehenden Keize waren in der Hauptsache taktiler Natur, sekundär erfolgte dann später assoziativ eine erotische Anregung durch die bloße Wahrnehtaung des Gummigeruchs, wie er dem Luftkissen eigen war. Auf optischem Wege vermochte das Luftkissen nur geringe . sexuelle Wirkungen auszuüben, während der akustische Weg in diesem Falle gänzlich ausgeschaltet war.
Die Vorstellungen nun, die während des ersten, ganz spontan gefundenen Onanie- aktes auftraten, der nun täglich während der folgenden 6 Jahre mit wenigen Unter- brechungen wiederholt wurde, wiesen stets das gleiche Grundmotiv auf: einen großen, starken, fetten Mann, der von der Phantasie in irgendeine Situation mit masochistischer Tendenz gesetzt wurde. Die lustbetontesten Vorstellungen von feisten Schenkeln und dicketa Leib wurden durch Betasten und Pressen des glatten, prallen Luftkissens her- vorgerufen. Bemerkenswert ist, wie in den späteren Jahren die S y m b o li s i e r u ng von dem Drange, in den Besitz des begehrten lebenden Partners zu gelangen, immer mehr zu einem Surrogat hinsteuerte; da jedoch das adäquate Sexualobjekt nicht er- reichbar war, arrangierte Z. eine Situation, die auf den ersten Blick narzißtischen Charakter zu besitzen scheint, jedoch heterogener Natur ist. Herr Z. zog sich einen sehr weiten Herrenanzug an, den er mit Hilfe des aufgeblasenen Luftkissens ausstopfte; durch den Anblick des Spiegelbildes, in dem er dann nicht sich, sondern das begehrte Sexual- objekt erblickte, erfolgte die Auslösung der sexuellen Entspannung. Als Ausstopfungs- material wurden stets Luftkissen benutzt, da andere Gegenstände, wie etwa Federkissen, keine sexuelle Wirkung hatten. Die ersten sexuellen Regungen traten, wie erwähnt, iln 14. Jahre auf. Jedoch konnte ein Erinnerungskomplex aufgefunden werden, der aus dem 8. Jahre stammt uud eine gewisse Beziehung zu dem Luftkissenfetischismus auf- weist. In diesem Alter sah Z. zum ersten Male ein Luftkissen und an einem/ der fol- genden Tage im Zirkus in einer humoristischen Nummer einen Mann, der wie ein Gummiball aufgeblasen war. Diese beiden Erlebnisse interessierten ihn sehr, gerieten jedoch zunächst wieder in Vergessenheit, um erst mit dem Einsetzen der sexuellen Reife von der Psyche als adäquate Sexualmotive wieder aufgenommen zu werden.
Dieses infantile Erlebnis ist aber nicht etwa als „choc fortuit" zu werten, der für die Sexualkonstitution irgendwie richtunggebend ist, vielmehr ist es die bereits im Keim vorhandene endo-
22 I- Kapitel: Fetischismus
k r i n bedingte S e x u a 1 p s y c li e , deren feminine Komponente uns hier unter der Form des homosexuellen Masochismus entgegen- tritt, welche so frühzeitig einen sensorischen Ein- druck • a 1 s adäquat akzeptiert..
Wende] i wir uns nach den allgemeinen Betrachtungen über Wesen und Ursache des Fetischismus den einzelnen Forme n der Teilanziehun g zu, so erkennen wir bald, dal? die außer- ordentliche Fülle der Erscheinungen auf diesem Gebiet Einteilun- gen nach den verschiedensten Gesichtspunkten ermöglicht. Da jeder Teil des fremden Körpers den Ausgang und jede Stelle des eigenen Körpers den Eingang fetischistischer Reize bilden kann, sind wir in der Lage, die Unterscheidungen sowohl nach der R e i z - quelle, den Objekten, als nach den Reizmündungen im Sub- jekt zu treffen. Die Empfangsstationen fetischistischer Sexual- reize verteilen sich auf sämtliclie Sinnesorgane, mithin kann man, je nachdem es sich um Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck- oder Tastreize handelt, einen optischen, akustischen, olfaktorischen, g-ustatori sehen und taktilen Fetischismus unter- scheiden.
Ein Teil dieser Sexualreize wirkt durch das Medium der Luft auf die reaktionsfähigen Organe der Körperoberfläche, ein anderer durch direkten Kontakt. Es gibt hiernach distanzielle Fetisch- i'+^ize; das sind die, welche die Netzhaut, das Trommelfell und die Riechfläche der Nasenschleimhaut treffen, und proximale Fetisclireize, welche Haut und Zungenschleimhaut berühren. Diese beiden Gruppen der Fern- und Nahreize zeigen physiologisch noch anderweitige Unterscheidurgsmerkmale. Die Fernreize sind die- jenigen, denen sich die Sinne fast stets zunächst zuwenden. Sie gehen den proximalen voraus, sind also die primären, während die wesentlich massiveren Nahreize meist als sekundäre auftreten. Sie wirken normalerweise nur dann als Lust, wenn durch die distanziel- len Sexualreize eine Y o r 1 u s t geschaffen ist.
Der kausale Zusammenhang ist meist so, daß ursächlich und zeitlich das primum movens die Vorstellung ist, erzeugt durch die distanzielle Wahrnehmung. An diese primäre Reizung schließt sich alles andere als Reflex kette oder richtiger als Treppenreflex, ))ald gehemmt, bald ungehemmt an. Suchen wir uns den Vorgang zu ver^anschaulichen. Ein Sinneseindruck dringt lusterregend zum Zentralorgan; das so entstandene Gefühl veranlaßt auf der moto- rischen Nervenbahn eine Reaktion; diese Reaktion selbst geht als neuer stärkerer Reiz von der Peripherie wieder zum Zentral- organ zurück. Die so bewirkte zentrale Steigerung der Lust setzt sich auf dcii! motorischen Nervenstrang in eine neue Aktion um, deren Auswirkung wiederum als erhöhtes Lustgefühl zentralwärts dringt. So geht es von außen auf der sensorischen Bahn nach innen.
I. Kapitel: Fetischismus 23
lind von innen auf der motorischen Bahn nach außen und dann immer weiter zentripetal-sensorisch, zentrifugal-motorisch, bald be- wußt , bald unbewußt, bald unterbrochen , bald ununterbrochen stafPelweise, bis durch Reizsummation eine zunehmende Erotisie- rung der Hirnzellen und so allmählich die Höchstlust erreicht ist, wenn nicht auf einer niedrigeren Stufe durch das Dazwischentreten äußerer oder innerer Einflüsse bereits vorher Halt geboten wurde.
Das am weitesten tragende Sinnesorgan eines Lebewesens ist für sein sexuelles Leben das leitende und fülirende. Für den Menschen ist die Reihenfolge: Gesicht ■ — Gehör — Geruch. Das gilt sowohl für die physiologische- als die pathologische Teil- anziehung. Das Auge steht als Vermittler der menschlichen Liebe obenan, möglich, daß es sich gerade durch die tJbung auf erotischem Gebiet, das unwillkürliche An- schauen, Suchen und Fahnden nach Soxualreizen, zu dem entwickelt hat, was es für uns als Empfangsstelle des Schönen geworden ist. Bei anderen Lebewesen nehmen andere Sinne diese leitende Stellung ein, und zwar ist stets jedes Tieres feinstes Organ das erotisch empfindsamste und reizbarste. Bei vielen steht das Gehör, bei anderen der Geruch an erster Stelle. So wissen wir, daß viele Yogelmännchen ausschließlich toit ihrer Stimme, oft im Dunkel der Nacht, das Weibchen locken. Wirkt auch das bunte Kleid des Männchens auf manches junge Weibchen in der Vogel weit ganz ähn- lich, wie der ,, bunte Rock" auf manches -junge Menschenraädchenhcrz, so fliegt doch das durch den Gesang aus weiter Ferne angelockte Weibchen vor allem dem Männcheii zu, welches nach seiner Empfindung die schönsten Liebestöne und Liebesliedef er- scliallen läßt. Auch die Anreizung durch den Geruch spielt iin Tierreich eine sehr große Rolle, und zwar überall dort, wo das Geruchsorgan am höchsten entwickelt ist. Sehr viele Tiere haben drüsige Organe, deren Absonderung lediglich die Aufgabe hat, das Weib- chen anzulocken, es zu verführen. Aus unglaublichen Entfernungen wittern die Männ- chen den ihnen sympathischen Duft, Insekten nähern sich aus meilenweiter Ferne' dem Standort des ihnen wohlriechenden Weibchens. Viele Tiere berauschen sich förtolich durch ein immer stärkeres Beschnüffeln, um schließlich in der Geruchsekstase nur zu einem einzigen momentanen Liebessprung auszuholen. Sind die Geruchs- und Schalleindrücke bei den Nasen- und Olirentieren — und zu diesen gehören unter den Säugetieren die große Mehrzahl — von dominierender Bedeutung in der Liebeswahl, so tritt ihi"e tropistische Wirksamkeit bei den Menschen als Augen- tieren weit hinter den Gesichtswahrnehmungen zurück. Das erkennen wir deutlich auch darin, daß in der Liebcsliteratur die Schilderungen der Schönheit des geliebten Objekts, die eingehende Beschreibung ihrer äußerlich sichtbaren Reize, den größten Raum einnehmen. Wie das geliebte Wesen riecht, schmeckt, sich anfühlt, welche Ge- räusche von ihm ausgehen, wird namentlich in der höheren Dichtkunst viel seltener und nebensächlicher erörtert.
Das Sehorgan der meisten Menschen ist unbe- wußt fortwährend auf der Suche nach Fetischen, un- willkürlich ob im freien oder im geschlossenen Raum stellt es sich auf lustbetonte Geschlechtseindrücke ein, die für sein Wohlbehagen, von hohem Werte sind. Gleichzeitig bestrebt sich das Auge, Anti- fetischen auszuweichen. Ich hatte einmal einen Patienten, einen Reisenden, der häufig den Zug verpaßte, weil er sich nicht aufraffen konnte, in einem Abteil Platz zu nehmen, in dem eine ihm abstoßende Person — sein hauptsächlicher Antifetiseh war Korpulenz selbst mäßigen Grades — saß. In nicht geringer Unruhe suchte er Wagen für Wagen nach der hagersten Erscheinung. In der Entschluß-
24 I- Kapitel: Fetischismus
losigkeit, die das Falmdeii nach der größtmög- lichsten Fetisch Wirkung verursachte, fuhr dann nicht selten der Eisenbahnzug ab, bevor er ein ihm zusagendes Coupe hatte finden können. Daß nun aber nicht nur das weittragendste Sinnes- organ als Empfangsstelle für distanzielle Sexualeindrücke funktio- niert, überhaupt nicht nur eins, sondern mehrere, ist eine der Sicher- heitsmaßregeln, der wir in der Natur immer dort begegnen, wo es sich um die Liebe handelt. Auch dem Blinden und Tauben sollte nicht das größte Gut vorenthalten bleiben, welches die Natur zu ver- geben hat. So sehen wir, daß, wenn das Auge erloschen ist, andere Sinnesorgane den leeren Platz ausfüllen.
Ich' führe die Mitteilungen eines Offiziers an, der einen Schuß in die Stirn erhielt, welcher ihm das Seh- und Geruchsvermögen raubte. Vor seiner Verletzung waren es fast ausschließlieh der Gesichts- und Geruchssinn, durch welche die Sexualreize sich den Weg in sein Inneres bahnten. Als ihm dann durch die schwere Verwundung die beiden wichtigsten Sinneszentren verloren gegangen waren, merkte er na«h und nach, daß, wie er sich selbst mir gegenüber ausdrückte, ,,der Strom der Sympatliie, welcher früher durch' das Auge geleitet war, auf das Ohr überging". „Das Gehör war schon ehedem", schreibt er, „sehr fein entwickelt, es übersah aber oft seine warnende Pflicht, weil das Auge fortgerissen wurde. Seitdeta meine Neigungen durch das Gehör geleitet werden, glaube ich viel sicherer zu gehen", Wohllaut des Organs, Aussprache und Satz- bildung seien jetzt das ihn Anziehende. Was weiter aus der Zuneigung würde, ent- scheide die Beschaffenheit der Haut, vor allem die Form der Hand. Eine schmale, weiche Hand, kleine, dünne Finger wirken abkühlend, während kräftige Hände mit derberen Fingern die Erregung steigern. Dabei sei der Typus, zu dem er sich hingezogen fülile, ganz der gleiche geblieben, und er wundere sich selbst, wie sein Gehör und Gefühl dieselbe Art geliebter Menschen herauszufinden wisse, wie früher sein Gesicht und Geruch. Victor Cherbulicz sagt einmal e) : „Für den Blindgeborenen ist die Stimme einer Frau soviel wie ihre Schönheit", und auch Havelock Ellis betont (Gattenwahl beim Menschen, S. 157), ein wie wichtiges Reizmittel die Stimme für den Blinden: ist, wobei er sich auf das Zeugnis eines amerikanischen Arztes beruft, .lames Cooke, der eine Arbeit über die Stimme als Seelenindikator („the voice as an index to the soul") geschrieben hat.
Es kommt gar niclit selten vor, daß auch bei Vollsinnigen ein anderes Sinnesorgan als das Auge an die erste Attraktionsstelle rückt. In einem mir zur Verfügung gestellten Liebesbrief findet sich folgende Stelle, die ich zu diesem Punkte anführen möchte: „Wenn ich mir die erste Stunde, in der ich Dich fand, vergegenwärtige, weiß ich, daß Ohr und Auge die gleiche Anziehung nach Dir hin spürten. Doch nenne ich absichtlich das Ohr zuerst, weil es, ehe ich Dich erblickte, — Du hieltest eine Rede und es saßen viele Menschen zwischen uns — , Deine wunderbar klangvolle, dunkelweiche und biegsame Stimme war, welche mich — fast körperlich — durch- zuckte — ; mir war, als hätte ich noch nie solche Töne aus meiner Seele Beiraatlande gehört. Dann erst sah ich Dich, und mein Auge suchte den Mund, aus welchem jene Glockentöne kamen!" Wer je-
ö) „Die Kunst und die Natur", S. 65.
I. Kapitel: Fetischismus 25
mals die Verzückung- mit angesehen hat, mit der manche Damen ge- wissen Bühnensängern lauschen, die Art, wie sie ihm nach dem Ge- sang zujubeln, wird nicht im Zweifel sein können, daß bei vielen ein erheblicher Erotismus im Spiele ist. "Wedekinds „Kammersänger" ist völlig lebenswahr. Aber auch antifetischistische Idiosynkra^en sind dem Gehörsinn in erheblichem Grade eigen ; nicht selten er- streckt sich diese Antipathie auf Dialekte. Ein Mann verliebte sich auf einem Wohltätigkeitsfest in eine Dame, die seinem Auge als Inbegriff weiblicher Schönheit erschien. Von ihrem Anblick förm- lich berauscht, gelang es ihm endlich, ihr vorgestellt zu werden. So- bald er nun aber in den ersten Sätzen der Unterhaltung ihren stark sächsischen Dialekt vernahm, war es nicht nur völlig . mit seiner Zuneigung vorbei, es trat vielmehr ein solcher Umschlag ein, daß er schleunigst das Weite suchte. Von jeher hatten diesen Mann einige deutsche Dialekte, wie das Hannoversche und Berlinische, mächtig angezogen, während andere, vor allem die sächsische und ostpreußische Spraclie, ein starkes Unbehagen in ihm hervorriefen. Sprachfehler bilden im übrigen fast ebenso häufig Fetische wie Antifetische. Einer meiner Patienten, ein sehr. femininer, metatro- pischer Mensch, wurde durch tiefe Frauenstimmen in hohem Grade erotisch affiziert. Auch andere von dem Objekt ausgehende Ge- räusche, der Schritt einer Person, ihre Atemzüge, selbst Dissonan- zen, wie ihr Schnarchen, werden von Liebenden nicht selten als Lustempfindung perzipiert. Eins der eigenartigsten Beispiele audi- tiver Sexualreize hörte ich einmal von einem GOjährigen Manne, der mir mitteilte, daß, solange er sich erinnern könne, ihn sexuell nichts so stark errege wie „kullernde Leibgeräusche". Eine ältere Dame meiner Kasuistik wurde durch Tritte fester Soldatenstiefel auf stei- nigem Boden in geschlechtliche Erregung versetzt. Li der Stille ihres Zimmers lauschte sie auf dieses Stampfen und geriet in immer größere Spannung, je näher es ihrer Wohnung kam. Beim takt- mäßigen Vorbeimarschieren eilier Truppe fing sie nichtseltenzumasturbierenan.
In das Gebiet des akustischen Fetischismus fällt auch der sexuelle- W 0 r t r a u s c h. Verschiedentlich geben Frauen in Ehescheidungsfällen an, der Mann hätte ihnen zugemutet, während des Aktes stark obszöne Worte auszusprechen, oder- er hätte es auch selbst getan, weil er nur so zur Erregung käme. Ein Patient, Richter von Beruf, teilte mit, daß seine Geschlechtslust durch nichts so sehr wachgerufen würde, als wenn ein Mädchen aus dem Volke ihn mit „D u" anredete. Von diesen beiden Buchstaben ginge für ihn die stärkste sexuelle Reizung aus. Offenbar liegt auch hier wieder ein metatropischer Komplex vor. Sehr verbreitet ist die von bestimmten. Titeln,, namentlich Adclsprädikaten, ausgehende Faszination, selbst wo ihre Echtheit äußerst zweifelhaft ist. In erster Linie kotamen für diesen Titelfetischismus Frauen, in zweiter feminine Männer in Betracht. Ein 24jähriger, sehr femininer Mann gibt folgendes an: „Die Anrede „Graf" und „Baron" bringen mich völlig aus dem sexuellen Gleichgewicht. Meine Träume haben meist folgenden Inhalt: ich weile in Berlin; lerne in einem Weinlokal einen 32jährigen Grafen ganz nach meinem Geschmack kennen. Ich fahre init
26 I- Kapitel: Fetischismus
ihm in seine Wolinung. Er ist wunderbar eingerichtet. ' Die Naclit bricht herein. Er führt mich in sein Schlafgcmach. Er schlägt mir vor, für immer bei ihm zu bleiben. Ich erkläre, daß das nicht geht, da ich in Stellung bin und bleiben tauß. Während er mit mir spricht, treten Diener ein, die ilm mit devoter Miene als Graf anreden. Er läßt mich nicht mehr fort. Ich soll bei ihm zur Gesellschaft bleiben. Ich fühle micff darüber sehr glücklich, wache bei dem Worte „bleiben" unter einer Pollution auf, und nehme dann wahr, daß es nur ein Traum ist.'"
Hinsichtlich des Geruchs könnte ich ebenfalls eine Reihe von Fällen anführen, in denen beim Menschen dieser Sinn die anderen völlig beherrscht. So zeigte mir eimal eine Dame ein kleines Stück Jucht enle der , das sie an einem Bande befestigt unter ihrer Bluse trug. In starken Superlativen schilderte sie die Bedeutung, welche der Geruch dieses Leders für sie besitze. Die erotische Nei- gung zu ihrem Manne, der von auffallender Häßlichkeit gewesen wäre — sie war früh verwitwet — sei ganz von Gerüchen beherrscht gewesen, vor allem von einem „mit Mannsgeruch vermischten Ta- baks- und Juchtengeruch". Sie berausche sich noch jetzt an den Kleidern ihres Mannes, denen immer noch ziemlich viel von diesem „süßen Aroma" anhafte. Es würde für sie eine große Beherrschungs- kraft erfordern, einem Manne Widerstand zu leisten, der sich ihr gegenüber dieses Lockmittels bedienen würde. In einem anderen mir bekannt gewordenen Fall ließ sich eine Frau die Hemden ihres im Felde stehenden Mannes schicken, um, ihren Duft einsaugend, sich bis zum Orgasmus zu erregen.
Ist das Gesetz richtig, daß die erotische Attraktionsfähigkeit eines Sinnesorgans sich zu seiner Feinheit und Differenziertheit direkt proportional verhält, so würde der Geruch beim Menschen an dritter Stelle rangieren. Er nimmt zwischen den Fern- reizen (Auge, Olir) und den Nalireizen (Haut, Schleimhaut) insofern eine Mittelstellung ein, als es nicht bloße Lufterschütterungen sind, welche die Nervenendigungen treffen, sondern korpuskulare Elemente, unendlich feine Teilchen von ungemein geringem Gewicht, welche die Nasenschleimhaut berühren. Aus dieser substantiellen Be- schaffenheit begreift sich, daß bei vielen Völkern, namentlich Mittelasiens, statt des Lippenkusses und Zungenkusses ein Riech- oder Nasenkuß vorkommt, während den rein distanziellen Reizempfängern (Auge, Ohr) ein dem Kusse analoges Reiz- und Lustmittel nicht bekannt ist. Im allgemeinen kommt de'm Geruch beim Menschen mehr eine hemmende und warnende Rolle zu, er dient mehr der sexuellen Aversion als Attraktion. Damit stimmt überein, daß viele Personen angeben, daß ihnen bei denen, die sie lieben, jeder wahrnehmbare Ausdünstungsgeruch unangenehm sei. Es gibt aber sicherlich auch hier viele individuelle Abweichungen, wie ja i"m Liebes- leben überhaupt infolge der enormen persönlichen Färbung jede Regel nur etwas Durchschnittliches bedeuten kann. Von Körpergerüchen kommen im Liebeslcben haupt- sächlich die Ausdünstungen der Haarbalg-, Schweiß-, Talg- und Schleimhautdrüsen in Betracht. Diese nach Intensität und Qualität individuell sehr verschiedenen Duftstoffe pflogen im Zustande sexueller Erregung heftiger auszuströmen als im Ruhestadium. Wir bemerkten, daß für viele Menschen die Ausdünstungen mehr antipathisch als sym- pathisch wirken; doch verdient andererseits erwähnt zu werden, daß sehr starke ero- tische Erregungen imstande sind, unangenehme Gerüche zu üi^erwinden. Es zeigt sich, daß unsympathische Eindrücke bei einer starken Liebe schließ- lich selbst Lustgefühle erwecken können, die allerdings dann meist -eine masochistische Grundlage haben. So ist mir ein Fall bekannt, in dem efn Mäd- chen heftig in einen Athleten verliebt war, der an einer übelriechenden Ozaena litt. Der
1. Kapitel: Fetischismus 27
widrige Geriicli war ilir anfangs höchst peinigend, doch war ihre Jjeidenschaft so stark, <]aß sie sich nicht nur an ihn gewöhnte, sondern ihn schließlich vermißte und suchte. In einem anderen Fall verursachte der penetrant riechende Fußschweiß eines Kavalle- risten einer Dame von hohem Stande im Anfang stärkste Unlust- und später höchste Lustgefühle. Man kann hier fast von einem Antifetisch- Fetischismus reden.
Wenn manche Autoren, die sich mit „Osphresiologie" beschäftigen, aus der großen Rolle, welche die Kör])erausdünstungen in der Tierwelt spielen, folgern, es müsse für den Menschen ähnlich sein, -so ist dies schon deshalb ein mangelhafter Schluß, weil, wie wir wissen, das Geruchsvermögen der Menschen an und für sich sehr viel schwächer entwickelt ist als das Willerungsvermögen der Tiere. Anatomisch gibt sich dies dadurch kund, daß die Riechzentren, die Geruchslappen, im Tiergehirn viel größer sind als im Menschengehirn, und daß die Lockdrüsen, welche die Riechsubstanzen bilden — es finden sich beim Menschen noch Reste davon an den Glandulae vestibuläres majores — funktionell bei ihm vollkomlnen verkümmert sind.
Aus den Beobachtiingeii von S c Ii i f f , Fließ und anderen geht hervor, daß bestimmte Geschlechtspunkte in den Schwellkörpern der Nase mit Vorgängen der Sexualsphäre in Wechselbeziehungen zu stehen scheinen. Es besteht danach eine Wahrscheinlichkeit, daß in der Nasenschleimhaut erogene' Zonen vorhanden sind, wie wii' sie in der Hautsinnessphäre seit langem kennen. Ob nicht auch in •den anderen Sinnesorganen? Möglich ist es, nach Analogien sogar wahrscheinlich, doch fehlen uns vorläufig die Mittel und Wege, diese Vermutungen durch direkt-e Beobachtungen zu stützen. Das Vor- handensein erogener Zonen in den Sinnesorganen legt den Gedanken nahe, ob nicht die besondere Empfindungsqualität, welche die Liebes- <'mpfindung von anderen Empfindungen unterscheidet, an bestimmte, in den Sinnesorganen vorhandene, nach dem Prinzip des Abgestimmt- seins konstruierte Sexualendkörperchen gebunden ist. Wenn heute die bedeutendsten Physiologen mit v. Frey"), sich für die Existenz eines besonderen Schmerzsinns, der durch Schmerzpunkte charakte- risiert ist, ausgesprochen haben, so erscheint es nach allem, was wir von der Spezifiziertheit der Sinneseindrücke kennen gelernt haben, durchaus nicht unwahrscheinlich, daß auch für die geschlecht- liche Empfindung besondere Empfangsstationen, S e X u a 1 p u n k t e mit Substanzen von eigenartiger Empfänglich- keit und Em.pfindlichkeit, innerhalb der verschiedenen Sinnesorgane vorhanden sind.
Verhältnismäßig am wenigsten Genitalpunkte dürfte nach dieser Auffassung unter den menschlichen Sinnesorganen der vierte, der Geschmackssinn, besitzen. Seine Lustempfindungen dienen bei Mann und Weib mehr der Erhaltung der Person als der Erhaltung der Art, während bei vielen Tieren neben dem Beschnüffeln das Belecken, neben der Nase die Zunge eine bedeutende sexuelle Rolle spielt. Auch beim Menschen ist die Zunge im Liebesleben keineswegs
■?) V. Frey, Beiträge zur Physiologie des Schmerzsinnes, Bericht der Matheinatisch- physikalischen Klasse der sächsischen Akademie. Leipzig, Dezember 1894.
28 . 1- Kapitel : Fetischismus
ausgeschaltet; (3as beweisen der Znngenkuß, die Cuniülinctio und Penilinctio, die nicht die einzigen hierher gehörigen Akte sind. Da die Zungenschleimhaut ungleich mehr Tastwärzchen als Geschmacks- wärzchen enthält, steht noch die Entscheidung aus, ob nicht der Tast- sinn bei diesen Erregungen viel mehr beteiligt ist als der Ge- schmackssinn. Daß er nicht völlig unbeteiligt ist, zeigt die feti- schistische, dem Normalen unbegreifliche Vorliebe gewisser Leute für das Ablecken, Aufsaugen und Herunterschlucken von mensch- lichen Absonderungen, sei es fast geruch- und geschmackloser, wie des Speichels und des Blutes, oder gar scharf duftender und schmeckender, wie des Harnes und des Schweißes, des Vaginal- schleims, Präputialsebums und Kots. Dem Drang, die Tastwärzchen der Mundschleimhaut mit denen der Genitalschleimhaut in Kontakt zu bringen, wohnt nicht selten ein elementarer zwangs- mäßiger Charakter inne, der jede andere Betätigungs- form als inadäquat ausschließt.
Der eigentliche proximale Geschlechtssinn des Menschen liegt nicht in der Mund- und Genitalzone im besonderen, sondern in der Haut im allgemeinen. Können wir auch hier wie bei den anderen Sinnesorganen von physiologischer Teilanziehung und pathologi- schem Fetischismus sprechen 1 Prinzipiell hat beim Menschen die taktile Erregungsmöglichkeit eine distanzielle Vorlust zur Voraus- setzung. Der Kontakt als solcher genügt nicht, er muß von einem Körper oder Teil ausgehen, der eine erotische Anziehungskraft be- sitzt. Nur wo diese magnetische Fernwirkung vorangeht, kommt es zu jenen Sensationen, wie sie etwa W e r t h e r ®) in den Worten schildert: „. . . Ach, wie mir das durch die Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn unsere Füße sich unter dem Tische begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime Kraft zieht mich wieder vorwärts." Wohl mögen viele- körperliche Berührungen, die heute als Symbole unter Bekannten und Verwandten gang und gäbe sind, als sie in der Urzeit aufkamen,, zunächst sexuelle Hautkontakte gewesen sein. Das gilt selbst von der heute so allgemeinen Sitte, sich einander die Hände zu reichen. In der Sprache, die konservativer als die Sitte ist, ]iält noch heute der Mann um die „Hand" des Weibes an, und sie „reicht dem Manne die Hand für's Leben". Wie mit dieser Berührung der Hände^ so ist es auch mit der Verschlingung der Arme, ja selbst mit dem Kusse. Umarmungen und Küsse auf Wangen, Hand, ja selbst auf den Mund, wie sie bei Begrüßungen und Verabschiedungen von Ver- wandten und Bekannten in vielen Ländern allgemein üblich sind,, sind zu Sympathiebezeugungen ohne sexuelle Betonung herab- gesunken.
8) „Die Leiden des jungen Werther." S. 28. (Reclam.)
]. Kapitel: Fetischismus 29
Welcher Unterschied aber zwischen dem kurzen, flüchtigen Händedruck sich be- grüßender Freunde und dem langen, innigen zweier Menschen, die sich lieben, bei welchen von der Berührungsstelle aus ein Strom wohltuender Erschütterungen durch die Keihen der Neurone zum Zentralorgan zieht! Wie verschieden der verflüchtigte Kuß der Etikette von jenem Kontakt der Lippen, bei dem die Summation der Nerven- leize zu einer weit im Körper irradiierenden Hyperämisierung führt I In einer mir zugegangenen Zuschrift vergleicht einmal jemand die Liebesküsse, die er von einer Frau, übrigens seiner eigenen, erhielt, mit einer „Supp© ohne Salz". Es ist dies ge- rade ein Hauptunterschied zwischen erotischer und nicht erotischer Anziehung, daß eine Berührung von Personen, deren Eigenschaften den übrigen Sinnesorganen und der Vorstellung gleichgültig oder gar unangenehm sind, auch dem Hautsinn gleichgültig oder unangenehm ist. Gerade die oft schwer zu definierende, stets aber doch deutlieh wahrnehmbare Art der Empfindung während der Berührung ist dafür entscheidend, ob eine Erregung sexueller oder unerotischer Natur ist, mit anderen Worten den erotischen Chemismus in Gang setzt oder nicht. Ist ersteres der Fall, so können schon ganz leichte Berührungen, etwa der Fuß- oder Fingerspitzen, der Knie oder Ellenbogen, das eigentliche Lustgefühl wachrufen, das bei unsympathischen als un- angenehm, bei neutralen als neutral wahrgenommen wird, d. h. als belanglos überhaupt nicht ins Bewußtsein dringt. Wenn C h a m f o r t einmal die Liebe definiert als „l'echange de deux fantaisies et le contact de deux epidermis" oder Dante im Purgatorio meint, daß das Sehen und Fühlen die beiden Kanäle seien, durch welche die Liebe ziehe, 60 muß daran festgehalten Werden, daß es sich hier nicht um koordinierte, sondern sub- ordinierte Vorgänge handelt, indem das Fühlen zu dem Sehen nicht nur im zeitlich äußer- lichen Nacheinander, sondern im innerlich ursächlichen Folgeverhältnis steht.
Hinsichtlich der partiellen Attraktion auf kutanem Gebiet ist zunächst zu bemerken, daß bestimmte Stellen der Haut offenbar sexuell reizbarer sind als andere. Es sind dies die „erogenen Zonen" (die Bezeichnung: „Zoues erogenes" findet sich zuerst bei den Fran- zosen). Sie treten uns hauptsächlich an acht Stellen der Körperober- fläche entgegen : v i e r m i t H a a r e n und die vier mit Schleim- haut bekleideten Partien der Körperoberfläche, welche von dem Subjekt als besonders reizbar und vielfach zugleich auch an dem Ob- jekt als besonders erregend empfunden werden. Die vier Haarstellen sind die behaarte Kopfhaut, die Gegend der Bart-, Achsel- und Schamhaare, die nicht nur für den Gesichts-, sondern auch für den Geruchssinn wesentliche Sexualreizregionen sind. Ganz ähnlich ver- halten sich die vier Stellen der Körperoberfläche, die sich von ihrer Umgebung durch eine zartere, dünnere Oberhaut abheben, die nach ihrer ganzen Beschafl'enheit in der Mitte zwischen der gewöhnlichen Epidermis und der die inneren Kanäle auskleidenden Schleimhaut steht (regio labialis, mamillaris, genitalis und analis). Die Brust- warzen stehen unter den Stellen, welche den sexuellen Widerstand reduzieren, an erster Stelle ; es muß ein erfahrener Kenner der Liebe gewesen sein, der in den „Chansons de Roland" schrieb: „Der Mann liebt mit dem Herzen, das Weib mit der Spitze seiner Brüste."
Außer den genannten acht Punkten finden sich noch sexuelle Erregungsstellen dort, wo die Oberhaut besonders prall gespannt ist und ohne viel Unterhautfettgewebe den Muskeln und Knochen auf- liegt. Bei den Menschen sind derartige Reizstellen vor allem die
30 I- Kapitel: Fetischismus
Handteller, die Fußsohlen, die Fingerspitzen, die Zehenspitzen, Knie,. Ellenbogen und die Kreuzgegend,
Weitere erogene Zonen sind bei Abelen die innere Seite de& Oberschenkels, die Nackengegend, Ohrnniscliel und Ohrläppchen. Auch hier gibt es wiederum ganz individuelle Besonderlieiten, welche anatomisch vermutlich durch eine stärkere A n h ä u f u n g s e X u e 1 1 e r Nervenendkörperchen an ge- wissen Stellen charakterisiert sind. Um einige hierher-- gehörige Seltenheiten anzuführen, (erwähne ich den Fall eines Mannes, der angab, daß er durch Zwicken des äußeren Augen- winkels, eines anderen, der durch Einführen des Fingers • in ' die äußere Öffnung des Grehörganges erotische Lustgefühle vermittelt erhielt. Beide erregten diese Partien künstlich zu masturbatorischen Zwecken.
Nicht ohne Grund hat man den Hautsinn als den „unter den Sinnen am wenigsten intellektuellen, ästhetisch unbedeutendsten'' bezeichnet. Zweifellos sind auch bei höheren Lebewesen Tastein- drücke bei weitem nicht so individuell verschieden geartet, bleiben auch in der Vorstellung und in der Erinnerung nicht so spezialisiert haften, wie die durch Auge, Ohr oder Geruch vermittelten Reize.
Immerhin fühlt sich auch die Haut nach Geschlecht, Alter und Individuum sehr verschieden an, und die Erfahrung zeigt, daß nicht selten auf die Beschaffenheit der Haut, ob sie sich beispielsweise weich oder straff, zart oder rauh anfühlt, als auf einen erotisch oder anti-erotisch bedeutsamen Faktor größtes Gewicht gelegt wird. Der F e t i s c li i s t kann durch eine bestimmte H a u t b e r ü h - r u n g sehr angezogen, der A n t i f e t i s c h i s t sehr abge- stoßen werden. So übt das Streicheln von Haaren, und zwar so- wohl der am eigenen Körper gewachsenen als der von Tieren ent- lehnten (Pelzwerk), bei der Frau beispielsweise das Spielen mit dem Bart des Mannes eine liäufige fetischistische Reizwirkung aus. Ein wesentliches Moment der Anziehung und Abstoßung ist auch die Hauttemperatur; so kenne ich einen Patienten, der durch die Berüh- rung kalter Hände, aber nur durch diese, in heftige Wallungen ge- rät. Wärme, ließ ihn — kalt. In einem anderen Fall wurde ein Mann von dem Drange verfolgt, sich auf einen Platz zu setzen, von dem sich unmittelbar zuvor eine Dame erhoben hatte; er konnte dies in den meist stark besetzten Wagen der Straßenbahnen und Stadtbahn- züge unbemerkt und leicht durchführen. Die dem Platze noch an- liaftende Wärme des weiblichen Gesäßes rief bei ihm oft Erektionen hervor. Sich dorthin zu setzen, wo vorher ein Herr gesessen hatte, erzeugte in ihm großes Unbehagen und war i h m schließlich ganz unmöglich. In Hotels, auf der Eisenbahn und auch sonst vielfach benutzte er mit Vor- liebe Damentoiletten, was ihm nicht selten Zurechtweisungen ein-
Temperaturfetischismus.
Tafel I.
Zeichnung des auf S. 31 beschriebenen Kältefetisclusten , wie er sie seit seiner
Jugend zahlreich anzufertigen pflegte, bevor er sich ihres fetischistischen Charakters
bewußt wurde. Man beachte die Origioalunterschrifl.
T. Kapitel: Fetischismus 31
trug. Über einen seit Jahren xon mir bcohacliteten Fall von Kälte- fetisehisnins (vgl. Tafel 1) orientiere folgende Zuschrift:
„Mein Interesse für abhärtejide Kleidung ist noch immer sehr stark, und bei dem gleichen Interesse meiner Frau ist es nicht verwunderlich, daß wir häufig davon sprechen, so daß von meinem Betonen des Abhärtungsgedankens zweifellos viel in dieser Hinsicht auf meine Frau übergegangen ist. Wenigstens meint sie, von selbst nicht auf alles ge- kommen zu sein. Aber in der Sache herrscht völlige Harmonie uns;'rer Meinungen. Der Unterschied ist nur der, daß bei mir der Gedanke und Anblick solcher K ä 1 1 e k I e i d e r oder von Bildern davon e i u •' u ■< e x u cl 1 fMi Reiz aus- übt, was bei meiner Frau natürlich nicht der Fall ist. l'iul sie hat aiH-li keine Ahnung, daß dies bei mir so ist, weiß überhaupt von solchen etwas konträren Empfindungen nichts. Sie ist in dieser Beziehung so rein und harmlos wie ein Kind. A¥enn ich ge- legentlich mal eine Zeichnung in der Ihnen bekannten Art gemacht habe, die etwa ein Mädel mit bloßen Artiien und Schultern und nackten Beinen auf der Eisbahn darstellt, so hat sie die nur als einen Scherz betrachtet; denn wenn sie auch bei größeren Kindern uiibedingt für nackte Waden und tiefen Halsausschnitt im Winter ist, so denkt sie natür- lich nicht im Ernst an solche Übertreibungen, an denen sich meine erhitzte Phantasie gefällt. Solche Momente sexueller Erregung, d i i' sich in derartigen Phan- tasien mit gleichzeitigem Onanieren auslösten, sind öfter vor- gekompien in Zeiten, in denen ein üeisdilaf nicht möglich war wegen der Schonungs- bedürftigkeit meiner Frau.
Die Phantasien bewegten sich dabei ausschließlich in der einen Richtung: halb- wüchsige Mädels in leichtester Kleidung im Winter. Ich selbst bin übri- gens, als ich. im Winter 1915 bei Wigger in Partenkirchen war, in Gegenwart meiner Frau einmal meinem Triebe gefolgt und habe in der halbvercisten Partnach unter tief ver- schneiten Bäumen bei einigen Grad Kälte ein Bad genommen, was mir ausgezeichnet bekommen ist, während meinq Frau es für einen entzückenden Dummen- jungenstreich hielt, „den sie mir gar nicht zugetraut hätte".
Nach einjährigem Dienst in der Front kam ich in hiesigen Garnisondienst. So war ich im Lande. Unser militärisches Bureau, in dein icfi arbeitete, sah auf den Schulhof einer höheren Knabenschule hinaus. Es interessierte mich da sehr, festzu- stellen, wieviel Jungens Sommer und Winter Wadenstrümpfe trugen. Zu gleichem Zwecke stellte ich mich mitunter mittags am Eingang der Mädchenschulen auf, um zu sehen, wieviel Kinder nach meinen Ideen gekleidet gehen."
Ich möchte hier bemerken, daß sehr zahlreichen Zwangsvorstel- lungen, vor allem vielen Formen der B e r ü h r n n g s f u r c h t und B erüh rungs sucht ■ — • follie de toucher — , -die meist völlig aus der Luft gegriffen erscheinen und früher jeder eigentlichen Er- klärung spotteten, letzten Endes 'im Geschlechtsleben wur- zeln. So wandten sich mehrere Personen an mich, denen der •übliche Händedruck bei der Begrüßung und Verabschiedung größte Zwangsangst verursachte; während der Unterhaltung mit irgendeinem Menschen beherrschte sie unausgesetzt der Gedanke, wie sie wohl dem peinlichen Händedruck entgehen könnten. Kam es doch dazu, so wuschen und bürsteten sie zu Hause die Hände stundenlang. Die Umgebung nahm übertriebene An- steckungsfurcht an; in Wirklichkeit aber lag ein sich auf Hände beider Geschlechter erstreckender Fetischhaß vor. Vor einiger Zeit wurde ich von den Eltern eines Mädchens zu Rate gezogen, die wegen tätlicher Beleidigung angeklagt war, weil sie einem
32 I- Eapitel: Fetischismus
mit seiner Frau neben ilir stehenden lungenkranken Manne auf der elektrischen Bahn einen schweren Stoß vor die Brust versfetzt hatte, der eine Lungenblutung- zur Folge hatte. Das Mädchen, das auf einer Bank in Stellung war, gab folgendes an: Seit der Überfüllung der Verkehrsmittel befände sie sich in permanenter Aufregung. Wenn ein Mann dicht neben ihr stände, so daß sie seinen Körper irgendwo an ihrem spürte, fühle sie sich in wörtlichem Sinne „auf das unange- nehmste berührt". Sie hätte die größte Mühe an sich zu halten, um gegen den Mann nicht handgreiflich zu werden. Das Unbehagen, die Qualen wären so groß, daß sie sich habe entschließen müssen, den weiten Weg bis zu ihrem Geschäft zu Fuß zurückzulegen, seit infolge der Kriegsverhältnisse das Gedränge so stark auf den Bahnen zuge- nommen. Wenn eine Frau neben ihr stände, habe sie diese „abscheu- lichen Empfindungen" nicht, im Gegenteil hätte sie die bereits öfter als wohltuend empfunden, einen Mann aber zu fühlen, sei unerträg- lich. Sie glaube gern, daß der kranke Mann, der beim Herausgehen dicht an sie herangedrängt worden sei, unabsichtlich dazu gekom- men wäre, aber sie hätte ihm auch ebenso unabsichtlich den Stoß versetzt; er sei ihr als Abwehr ganz von selbst „herausge- fahren". Das junge Mädchen, welches kurze Haare trug und auch sonst zweifellos neben einer stark neuropathischen eine virile Kom- ponente besaß, wurde freigesprochen.
Am peinlichsten ist es wohl, wenn diese sexuelle Berührungs- furcht sich auf die Geschlechtsorgane des anderen Geschlechts er- erstreckt. Ein an sich völlig heterosexueller Mann mußte zur Schei- dung schreiten, weil ihm jede Berührung seines Körpers, auch des Penis, mit dem weiblichen Genitalapparat unmöglich war. Er ver- glich die weibliche Scham mit einer „Kröte, die zu berühren er nicht imstande sei". Auch bei Frauen, und nicht etwa nur bei homo- sexuellen, kommt ein analoger auf den Phallus gerichteter Fetisch - haß vor.
So suchte mich vor einiger Zeit eine überaus verängstigte und verzweifelte Frau auf,, die folgendes berichtete: Sie selbst sei 32 Jahre alt, Mutter eines 10jährigen un- ehelichen Kindes, seit dessen Geburt sie jjn entzündlichen Vorgängen in den Mutter- bändern litte. Vor einem Jahre hatte sich ein 21 jähriger Mann in sie verliebt, dessen Drängen nach Verheiratung sie schließlich nachgegeben habe. Seit der Brautnacht quälte er sie, sie solle mit ihrer Hand sein Membrum erfassen, weil es nur so bei ihmr zu einer Erektion käme. Dies sei ihr aber unmöglich; sie verweigere ihin nicht den Beischlaf, aber eine Berührung des Gliedes mit der Hand erfülle sie mit Entsetzen und unbeschreiblichem Ekelgefühl. Sie lebe in dauernder Angst vor diesem Verlangen ihres Mannes, sei deshalb bereits wiederholt einige Tage von ihm gegangen, so auch jetzt; sie möchte wissen, ob seine Berührungssucht oder ihre Berührungsfurcht krankhaft sei. Eine Aufrechterhaltung der Ehe sei ihr unter' diesen Bedingungen unmöglich, selbst auf die Gefahr hin, daß ihr Mann seine Drohung wahr machte und sie „umbringe", wenn sie nicht bei ihm bliebe.
Von der fetischistischen Einstellung eines Menschen ist zum größten Teil seine Geschmacksrichtung im allgemeinen,
1. Kapitel: Fetischismus 33
seine ganze Welt- und Lebensauffassung, seine Lebensführung abhängig. Ein Mann, der eine große Vor- liebe für orientalische Typen und orientalische Kleider hat, wird leicht am Orient, seinen Sitten und Gebräuchen Grefallen find'en, dorthin reisen; eine Frau, die am Manne eine gewisse ge- diegene Gemütlichkeit schätzt, wird sich für die Tracht und Zeit interessieren, die dies besonders zum Ausdruck brachte, die Bieder- meierzeit. Ein Mann, der in seinem Fragebogen schreibt, ihm lägen vor allem „große mosaische Damen", wird schwerlich Antisemit sein, während jemand, der mitteilt, ihm sei am Weibe alles Runde, Fette und Dunkle verhaßt, viel eher auf assoziativem Wege dazu ge- langen wird. Von den anziehenden Farben und Formen der Körperteile und Kleidungsstücke übertragen sich w oh 1 tu ende Empfindungen auf alles, was auch nur entfernt damit zu tun hat. Die ganze Erde ist so voll von Symbolen. Ich greife aus vielen Beispielen meiner Erfahrung ein beliebiges heraus: Eine vornehme, alleinstehende Holländerin hatte eine leidenschaftliche Vorliebe für arbeitende Seeleute. Von ihren festen Bewegungen, ihrer breiten Beinstel- lung, ihren tätowierten Brüsten, von ihrer malerisch schmierigen Schiffertracht, ihren Naturlauten beim Anziehen der Taue, von dem Werfen und Fangen der Ballen beim Ein- und Ausladen, von ihrem Teer- und Tanggeruch strömte ihr ein Magnetismus entgegen, dem sie sich nicht entziehen konnte. Um ihrem Fetischismus zu frönen, lebte sie ausschließlich in Hafenstädten und wohnte in den am Quai gelegenen Hotels. Ihr Bett ließ sie so stellen, daß sie vom frühen Morgen ab die Szenen beobachten konnte, welche sie erotisch er- regten. Oft zog sie abends einfache Kleider an und ging in die ganz gewöhnlichen Tanzlokale der Matrosen, die sie für ein Ladenmäd- chen hielten. Sie tanzte unermüdlich mit den Schiffern, an die sie sich -fest anschmiegte; ihre Rolle führte sie mit erstaunlicher Ge- schicklichkeit durch, ohne es jemals zum Äußersten kommen zu lassen.
Auch in der Berufswahl spielt die erotische Teilanziehung eine größere Rolle, als sich der Mensch selbst dessen bewußt wird. Ein krasses, aber sehr lehrreiches Beispiel gibt E. T. A. Hoffmann in der Novelle: „Das Fräulein von Scuderi", wo er einen der übrigens bei beiden Geschlechtern keineswegs seltenen Fälle von Juwelen- fetischismus schildert. Dieser Juwelenf etischist, namens Car- dillac, wurde aus Vorliebe für Edelsteine Juwelier. Seine Arbeiten waren berühmt; wer aber bei ihm; arbeiten ließ, mußte sehr lange warten und sich bei der Aushändigung Grobheiten gefallen lassen, weil Cardillac sich nicht von den Schmucksachen trennen konnte. Er ging sogar so weit, daß er, von einem Zwang getrieben, seine Kundschaft, nachdem sie ihn mit den Steinen verlassen hatten,
Hirschfeld, Sexualpathologie, in. 3
34 I- Kapitel: Fetischismus
nächtlich anfiel und ermordete, um wieder in den' Besitz seiner Steine zu gelang'en.
Cardülac hält diese Leidenschaft für ererbt und erzählt folgendes: „Weise Männer sprechen viel von den seltsamen Eindrücken, deren Frauen in guter Hoffnung fähig sind, von dem wunderbaren Einfluß solch* lebhaften, willenlosen Eindrucks von außen her auf das Kind. Von' meiner Mutter erzählte man mir eine wunderliche Geschichte. Als sie nut Inir im ersten Monat schwanger ging, schaute sie mit andern Weibern einem glänzenden Hoffest zu, das im Trianon gegeben wurde. Da fiel ihr Blick auf einen Kavalier in spanischer Kleidung mit einer blitzenden Juwelenkette um den Hals, von der sie die Augen gar nicht mehr abwenden konnte. Ihr ganzes Wesen war Begierde nach den funkelnden Steinen, die ihr ein über- irdisches Gut dünkte n. Derselbe Kavalier hatte vor mehreren Jahren, als meine Mutter noch nicht verheiratet, ihrer Tugend nachgestellt, war aber mit Abscheu zurückgewiesen worden. Meine Mutter erkannte ihn wieder, aber jetzt war: es ihr, als sei er im Glanz der stralilenden Diamanten ein Wesen höherer Art, der Inbegriff aller Schönheit. Der Kavalier bemerkte die sehnsuchtsvollen, feurigen Blicke meiner Mutter. Er glaubte jetzt glücklicher zu sein als vor- mals. Er wußte sich ihr zu nähern, noch inehr, sie von ? ihren Bekannten fort an einen, einsataen Ort zu locken. Dort schlang er sie brünstig in seine Arme, meine Mutter faßte nach der schönen Kette, aber in demselben Augenblick sank er nieder und riß: meine Mutter mit sich zu Boden. Sei es, daß ihn der Sclilag plötzlich getroffen, oder aus einer andern Ursache, genug, er war tot. Vergebens war das Mühen meiner Mutter, sich den im Todeskampf erstarrten Artnen des Leichnams zu entwinden. Die hohlen Augen, deren Sehkraft erloschen, auf sie gerichtet, wälzte der Tote sich mit ihr auf dem Boden. Ihr gellendes Hilfegeschrei drang endlich bis zu in der Ferne Vorübergehenden, die herbeieilten und sie aus den Armen des grausigen Liebhabers retteten. Das Entsetzen warf meine Mutter auf ein schweres Krankenlager. Man gab sie und mich verloren, doch sie gesundete und die Entbindung war glücklicher, als man je hätte ahnen können. Aber die Schrecken jenes fürchterlichen Augenblicks hatten mich getroffen. Mein böser Stern war aufgegangen und hatte den Funken hinabgeschossen, der in mir eine der seltsamsten und ver- derblichsten Leidenschaften entzündete. Schon in der frühesten Kindheit gingen inir glänzende Diamanten, goldenes Geschmeide über alles. Man hielt das für gewöhnliche kindliche Neigung. Aber es zeigte sich anders, denn als Knabe stahl ich Gold und Juwelen, wo ich ihrer habhaft werden konnte. Wie der geübteste Kenner unterschied ich aus Instinkt unechtes Geschmeide von echtem. Nur dieses lockte mich, unechtes sowie geprägtes Gold 'Heß ich unbeachtet liegen. Den grausamsten Züchtigungen des Vaters mußte die angeborene Begierde weichen. Um nur mit Gold und Edelsteinen hantieren zu können, wandte ich mich zur Goldschlnieds-Profession. Ich arbeitete mit Leidenschaft und wurde bald der erste Meister dieser Art. Nun begann eine Periode, in der der angeborene Trieb, so lange niedergedrückt, "mit Gewalt empordrang und mit Macht wuchs; alles um sich her wegzehrend. Sowie ich ein Geschmeide gefertigt und abgeliefert, fiel ich in eine Unruhe, in eine Trostlosigkeit, die mir Schlaf, Gesundheit, Lebensmut raubte. Wie ein Gespenst stand Tag und) Nacht die Person, für die ich gearbeitet, mir vor Augen, geschmückt mit meinem Geschmeide, und eine Stimme raunte mir in die Ohren: Es ist ja dein — es ist ja dein — nimm es doch — was sollen die Diamanten dem Toten! — , da legte ich Inich endlich auf Diebes- künste. Ich hatte Zutritt in den Häusern der Großen, ich nützte schnell die Gelegen- heit, kein Schloß widerstand "meinem Geschick und bald war der Schmuck, den ich gearbeitet, wieder in meinen Händen. — Aber nun vertrieb selbst das nicht meine Unruhe. Jene unheimliche Stimme ließ sich dennoch vernehmen und höhnte mich und rief: Ho ho, dein Geschmeide trägt ein Toter! Selbst wußte ich nicht, wie es kam, daß ich einen unaussprechlichen Haß auf die warf, denen ich Sehmuck gefertigt.
T. Kapitel: Fetischismus 35
Ja, im tiefsten Innern regte sich eine Mordlust gegen sie, vor der ich selbst erbebte."
Wenden wir uns nun der Einstellung des Fetischismus nach den anziehenden 01)jekten zu, so 4st es vor allem ein Unterschei- dungsmerkmal, das allen Erforschern dieser Erscheinung ins Auge fiel, und zwar derart, daß es eine Einteilung in zwei nahezu gleich große Gruppen des Fetischismus ermöglicht: Der irritierende Reiz geht entweder von einem Teil des Körpers unmittelbar oder von einem diesen Teil verhüllenden Kleidungsstück aus. In diesem Sinne unterschied schon Krafft-Ehing einen Körperteil-Feti- schismus und einen Gegenstands- oder Kleidungsfeti- s c hi s m u s. Ich selbst habe in! meinen Naturgesetzen der Liebe, je nachdem der Partialreiz ein mit seinem Träger unmittelbar ver- wachsener oder nur trennbar mit ihm verbundener Teil ist, inhä- rente und adhärente Partialreize unterschieden. Zwischen diesen beiden Gruppen von Sexualreizen stehen noch die kohä- renten, unter denen wir an dem Körper vorgenommene Verände- rungen und Verzierungen verstehen, etwa Ringe aus Gold, Silber oder anderen Metallen, die durch Ohren, Nasen oder über Finger ge- zogen werden, Tätowierungen oder Bemalungen mit Schminke, Puder, Tusche oder Kohle, wie sie ja keineswegs nur bei niederen Völkerschaften üblich sind; selbst Narbenverzierungen der Haut, wie die künstlichen Gesichtseinschnitte südaustralischer Urein- wohner oder die ihnen ähnlichen „Renommierschmisse" deutscher Studenten können eine fetischistische Bedeutung gewinnen.
Ob nun ein Körperteil mehr in seinem natürlichen oder in ver- änderten oder bekleideten Zustand begehrt wird, hängt zum guten Teil davon ab, wie die Menschen seiner am meisten ansichtig werden. So ist unzweifelhaft die Hand sehr oft, der Handschuh verhältnismäßig selten fetischistisches Sexualobjekt, während gerade umgekehrt der Schuh ungemein häufig, der bloße Fuß dagegen selten diesen irritativen Einfluß ausüben. Schon Krafft-Ebi ng sah den Grund dafür darin, daß die Hand meist entblößt, der Fuß meist bedeckt gesehen wird. Wir beobachten auch, daß der Neuerschei- nung und größeren Verbreitung eines G egenstandes, wie sie die Mode oder ein Zeitereignis, beispielsweise der Krieg, mit sich bringen, als- bald das Auftauehen vieler Fetischisten entspricht, die nun auf diese ganz neuen Dinge, etwa irgend ein Stück oder Abzeichen der Feld- uniform, ungemein „scharf" sind. So suchte mich vor kurzem eine Dame auf, für die von dem Verwundetenabzeichen eine hochgradige sexuelle Reizwirkung ausströmte.
Daß der Fetischismus nicht, wie vielfach angenommen wird, be- reits immer in früher Jugend vorhanden ist, lehrt die Erfahrungs-
36 I- Kapitel: Fetischismus
tatsache, daß fast ebenso häuü^ wie in der Keifezeit eine Sache in vorg-erückteren Jahren oder im Alter zum Fetisch wird; so lernen disponierte Personen nicht selten auf Auslandsreisen ihnen bisher gänzlich unbekannte Gebrauchsgegenstände kennen, auf die sie feti- schistisch reagieren, beispielsweise wurde ein mir bekannter femi- niner Mann, der die 50 längst überschritten hatte, auf seiner ersten Reise nach London unbezwinglicher Fetischist auf die kurzen Rohr- stöcke, die fast alle englischen Soldaten bei sich zu tragen pflegen. Alle diese Fälle werfen ein bemerkenswertes Schlaglicht auf die Ent- stehung des Fetischismus, der auf der unterbewußten asso- ziativen Verarbeitung einer Sinn es Wahrnehmung gemäß der individuellen Sexualkonstitution be- ruht. Von einem „accident" kann da keine Rede sein, sondern von einer ganz gesetzmäßigen Wec h s elwirkung zwischen dem Subjekt und einem bestimmten Objekt.
Einen pathologischen Charakter gewinnt dieser in seiner Grund- lage physiologische Vorgang durch zweierlei, einmal durch die fast ausschließliche Konzentration der Vorstellungen auf einen Teil, und zweitens durch einen anderen bedeutsamen Um- stand: Die sexuelle Entspannung wird meistens nicht durch den Koitus mit dem Fe t ischinhab er gesucht und gefunden, es wer- den vielmehr allerlei Manipulationen am Fetisch selbst begehrt und vollzogen, der gestreichelt, gedrückt, mit Lippe und Zunge berührt, in innigste Verbindung mit dem Körper und schließ- lich auch mit den Genitalien gebracht wird, bis der Orgasmus meist ohne Kontakt der beiderseitigen Konjunktions- werkzeuge eintritt. Bei reizbareren Personen kommt es oft schon beim bloßen Liebkosen des Fetisch mit der Hand zu Ejakula- tionen. Durch diese extragenitale Betätigungs- weise stellt der große Fetischismus eine der schwer- wiegendsten Entspannungsstörungen dar. Eigentüm- licherweise bespricht Krafft-Ebing nur den Fetischismus des Mannes für die Reize des Weibes; er ist aber beim Weibe für männliche Reize ebenso verbreitet.
Wenn wir die Unsummen einzelner Fetischismen weiter sichten nach bestimmten Gesichtspunkten, so gelangen wir zu einer Ein- teilung, die zwar zunächst nicht weniger äußerlich erscheint als die nach Körperteilen und Kleidungsstücken, aber auch ebenso prak- tisch und gut durchführbar ist wie diese: zu einer Einteilung nach Körperregionen. Hier sind drei Hauptgruppen zu unterschei- den : der Kopf-, Rumpf- und Extremitäten fetischismus.
K o p f f e t i s c h i s m u s.
Zu den am häufigsten ein fetischistisches Fluidum ausstrahlen- den Teilen des Kopfes gehört das Haar. Es handelt sich dabei
I. Kapitel: FetisQhismus 37
in erster Linie um einen optischen Fetischismus, doch sind auch (1er Geruchs- und Tastsinn stark beteiligt, und ein wenig auch der Gehörssinn, der das feine Geräusch leis knisternder Haare lustbetont wahrnimmt. Unter den einzelnen Eigenschaften des Haares ge- winnen vor allem die Farbe, Länge und Frisur oft eine feti- schistische, nicht selten aber auch eine antifetischistische Bedeu- tung, ferner übt die lockige oder glatte, weiche oder struppige Be- schaffenheit des Haares bald eine übermäßige Attraktion, bald eine starke Aversion aus.
Als Typ eines Fetischisten kann der „Z o p f a b s c h n e i d e r" angesehen werden, der so hochgradig in einen Bestandteil des weib- lichen Körpers von ganz bestimmter Beschaffenheit vernarrt ist, daß er nicht davor zurückschreckt, sich gewaltsam in dessen Besitz zu setzen. Ich hatte Gelegenheit, einen der bekanntesten Zopfab- schneider unserer Zeit, den von verschiedenen Koryphäen begut- achteten Studenten St. persönlich kennen zu lernen. Er war, wie fast alle Fetischisten höheren Grades, trotz guter intellektueller Fähigkeiten, ein erblich schwer belasteter Psychopath. Als er eines Tages wieder in Hamburg festgenommen wurde, fand man in seiner Wohnung 31 abgeschnittene Zöpfe, alle mit bunten Bandern ver- ziert und mit Tag und Stunde versehen, an denen sie abgeschnitten waren. Aus den Akten der Hamburger Polizeibehörde, von denen Staatsanwalt Wulffen in seinem „Sexualverbrecher" Auszüge bringt, seien einige, diese Anomalie gut veranschaulichende Stellen wiedergegeben :
„über sein Sexualleben inachtc St. folgende Angaben, die einen vollen Einblick in den pathologischen Seelenzustand des Zopfabschneiders gewähren. Was eigentlich ihn zum Abschneiden der Haare bewegt hat, sei ihm früher überhaupt nicht klar ge- wesen. Das Haar -allein sei es, was er liebe, nicht auch die Per- son, der es gehörte. So sei es ihm auch erklärlich, daß er seiner Schwester Haare abgeschnitten habe. Von früh an habe er von Haaren und Zöpfen geträumt. Auch jetzt träume er öfters derartiges. Wann zimi ersten Male ein sexuelles Fühlen dabei aufgetreten sei, wisse er nicht; es sei ihm das sexuell zunächst auch nicht bewußt gewesen, als er den Zopf abschnitt. Es sei wohl mehr ein körperliches Drängen gewesen, dem er nachgegeben habe, ohne zu wissen, worum es sich handele. Aufgeklärt über sexuelle Dinge sei er erst durch seinen ersten Prozeß ge- worden. Mit einem weiblichen Wesen habe er nie geschlechtlich verkehrt, er habe sich entfrelndet und abgestoßen gefühlt, sobald er von jemand wußte, daß er mit Weibern Umgang habe. Besonders widerwärtig sei es für ihn gewesen, wenn in zotiger Weise über derartiges) gesprochen wurde. Deshalb sei er auch in den Sitt- lichkeitsverein Ethos eingetreten. Es handelt sich hier um eine ebenso häufige wie bedenkliche Form, sexualpathologische Regungen durch antisexuellen Fana- tismus zu überkompensieren. Nach seiner Freisprechung in B., fährt St. fort, hätte er den festen Vorsatz gehabt, seinem unnatürlichen Drange nicht mehr nachzugehen. Ein Jahr sei ihm das gelungen, im Juni 1907 sei er aber wieder rückfällig geworden. Er fürchte, diesem unglücklichen Triebe nicht mehr widerstehen zu können, er wolle jede Hilfe annehtaen,, von wo auch immer sie komme. Hier in der Anstalt fühle er sich geborgen, zur Ruhe sei er aber noch nicht gekommen. Er frage sich immer wieder, wann in seine ringende Seele Friede einziehen werde. Im Sommersemester
38 L Kapitel: Fetischismus
1907 sei er allein in Br. und ganz auf sich angewiesen gewesen. Dort sei es wieder schlechter mit ihm geworden. Er hätte geahnt, daß er bei dem Trubel aus Anlaß eines Festes leicht wieder einige Zöpfe abschneiden könne, das hätte ihn schon Wochen vorher beschäftigt und gequält. Seit Berlin hätte er keine Schere, auch nicht eintnal eine Nagelschere im Besitz gehabt. Etwa 14 Tage vor dem Feste sei er zweimal lange vor eineto Laden auf und ab gegangen und habe mit sich gekämpft, obi er eine Schere kaufen solle oder niclit; scliließlich habe er sich beherrschen können. Einige Tage später habe er sich aber doch eine Schere gekauft, und das sei sein Verderben gewesen, jetzt sei die Erregung immer stärker geworden. Er habe oft die Schere wegwerfen wollen, habe es aber nicht getan, um zu zeigen, daß er auch trotz Schere seinem Zwange nicht nachgebe. Aln Festtage sei er allein durch die Straßen geirrt, habe nur auf Zöpfe und Haare geachtet, etwaigen Bekannten, die er zufällig traf, sei er absichtlich aus dem Wege gegangen. Trotz großer Erregung habe er sich an diesem Tage beherrschen können. Aber am nächsten Tage sei er erlegen. Abends sei eine große Ovation vor dem Schlosse gewesen, dort habe er verschiedene Zöpfe abgeschnitten. Beim ersten sei es ihm nicht völlig gelungen, ihn durchzuschneiden, da er zu dick und üppig war, der zweite sei ihm gleich entfallen. Dann stieß er auf ein größeres Mädchen mit wundervollem gelöstem, auffallend langem Haar, das Haar wallte in wunderbarster Weise bis zu den Knien. Bis zum äußersten war er erregt. Er griff hinein in die Fülle, da zieht das Mädchen ihre ganze Pracht nach vorn über die Schulter. Das sei ein harter Schlag gewesen, und doch habe er sich nicht von der Stelle gerührt, denkend, sie würde das Haar wieder zurück- legen. Als er dann sah, daß es damit doch nichts würde, habe er sich losgerissen und weiter gespäht, doch alle hatten ihr Haar nach vorne genommen. Schließlich riß er einem Mädchen das Haar über die Schulter zurück undl schnitt sich eine Locke ab. Gegen Ende der Feier sei er in einer furchtbaren Erregung gewesen, die zum Teil wohl Wut war, daß er das herrliche Haar nicht bekommen hatte. Durch derartige Schilderungen gegenüber dem Sachverständigen wurde St. sichtlich erregt und mitgenommen, er klagte denn auch noch am nächsten Tage, daß er, nachdem die Erinne- rung wieder einmal geweckt sei, unaufhörlich an den langen dicken Zopf denken müsse. Er sähe den Zopf, wenn er zu Bett liege, aus dein Bett baumeln, könnte nicht einschlafen, bekäme Erektionen, überlege sich: „Kann es überhaupt so lange und so dicke Zöpfe geben?" Er messe an seinem Körper aus, wie lang er wohl sein könnte. Er stelle sich die Trägerin schlafend vor, träte an das Bett derselben, fasse den Zopf, fühle die herrliche Dicke, drücke ihn gegen Mund und Nase, sauge den Duft ein, nähme dann schließlich die Schere und schneide ihn ab. Dann Aufstöhnen und Aufächzen, der Kampf, dem körper- lichen Druck nicht nachzugeben, läßt ihn nicht einschlafen; er legt sich auf den Rücken, auf die Seite,, alles hilft nichts. Dann kommen in der Dunkelheit von allen Seiten die vielen unendlichen Locken und Zöpfe, die wirklichen sowohl, die er kennt, als die gedach- ten, und die Erregung wächst, eine furchtbare Unruhe überkommt ihn. Er zwingt sich zur Ruhe, zwingt sich still zu liegen. Umsonst. Die alten Phantasien kotamen, die alten Bilder: Das Schloß, die Zopfträgerinnen werden herbeigebracht, ganze Städte werden aus- geraubt, Berlin, Hamburg, Braunschweig, London, Stockholm, und immer nur schöne Zöpfe, vom Schulhof, von der Straße werden sie entführt. Die Haare werden sorg- fältig gekämmt und geflochten, jeder Zopf wird unten und oben durcli ein Haarband geschmückt und erhält Vermerk mit Nainen und Alter der Trägerin, über Geburtsort und Haarfarbe der Eltern und darüber, ob das Haar schon einmal abgeschnitten. Es entspricht dies ganz der tjrpischen Art, in der Haarfetischisten ihre Sexualsymbole aufzubewahren pflegen. Manchmal habe St. das Gefühl, als ob das ganze Kopfkissen aus Zöpfen bestehe und auf ihm duftige Locken zerstreut seien. Er vergrabe in diese sein Gesicht, und um Brust, Arlne und Gesicht spielten und fächelten Locken. Nachdem er dann durch Onanieren Samenerguß gehabt habe, fühle er sich ganz matt, erst nach und nach könne er dann unter Abklingen der Erregung einschlafen, n^eist finde er aber erst nach Stunden Schlaf. Wenn er sein Gesicht in das Haar vergrabe, das ihn reizte, sei oft sofort ein Samenerguß erfolg t."
I. Kapitel: Fetischismus 39
Die hier hervorgehobene Entspannung am Fetisch selbst, los- gelöst von der Person, ist es, die in diesem Fall den pathologischen oder „großen" Fetischismus von dem physiologischen unterscheidet. St. wurde sowohl in Berlin als in Hamburg freigesprochen, da neben der hochgradigen sexuellen Triebstörung erhebliche Hemmungs- störungen vorlagen, die seine freie Willensbestimmung im Sinne des § 51 BStrGB. ausschalteten. Mehrere Jahre nach seiner letzten Aburteilung vor einem deutschen Gericht wurde mir eine spanische Zeitung aus Montevideo übersandt, aus der hervorging, daß der un- glückliehe Mensch in Buenos-Aires wieder seinem Drange unter- legen und daraufhin in eine Irrenanstalt überführt sei.
Der Artikel mit dem vollstäjidigcn fachärztlichen Gutachten der argentinischen Kollegen im „Diario del Elata" vom 28. Septetaber 1912 enthält so viel bemerkens- werte Einzelheiten, daß ich eine deutsche "Übersetzung von ihm wiedergeben möchte: „Der Polizeichef von Buenos-Aires hat heute Nachmittag bestimmt, daß der deutsche Ingenieur R. S. in der Irrenanstalt interniert werden soll, in Übereinstimmung mit dem, was in detn Bericht der Psychiater, die ihn in einer Anstalt beobachteten, empfohlen wurde. Wie man sich erinnern wird, hatte S., als er sich in einem Straßenbahnwagen in der Straße „Santa Fe" nahe am Platze „Itaüa" befand, der Tochter eines in Argentinien akkreditierten Gesandten den Zopf abgeschnitten. Er floh sofort, wurde aber bald darauf auf Verlangen des Bruders der jungen t)a'me festgehalten. Die Merkmale der Krankheits- erscheinung des S. werden sich am besten aus dem schon erwähnten Sachverständigen- Bericht beurteilen lassen, den wir nachstehend wiedergeben. Das Urteil der argentinischen Psychiater lautet wie folgt:
„Unter den vielen Personen, die der Irrenanstalt zur Beobachtung übergeben werden, gibt es wenige, die ein so großes Interesse gewähren, wie der genannte R. S. — Die Wich- tigkeit der Symptome der Krankheit beruht nicht auf ihrer Seltenheit, oder der Unge- wöhnlichkeit ihrer Wahrnehmung, sondern in dem Umstände, daß es sehr selten vor- kommt, unter den der ärztlichen Beobachtung unterstellten Fällen auf einen Kranken zu stoßen, der so wie dieser seine eigene Entartung kennt, sich ihr dennoch ohne Rückhalt hingibt, und zugleich gar keine Schwierigkeiten Inacht, sich einer langen und strengen Beobachtung und Behandlung zu unterwerfen, wie sie dieser Fall erfordert.
In einem interessanten Schriftstück, welches in der Anstalt aufbewahrt wird, be- richtet genannter S., daß, noch bevor er das Alter von 10 Jahren erreicht hatte, seine Auf- merksamkeit durch Zöpfe von Frauenhaar erregt wurde, und zwar war es durch die Zöpfe seiner eigenen Schwestern. Dasselbe Dokument läßt erkennen, wie sehr er "moralisch darunter gelitten hat, die tiefe Beschämung, die er erduldete, und die Anstrengungen, die von ihm und seiner Familie gemacht wurden bei verschiedenen vorgekommenen Gelegen- heiten, um seine Neigungen und Triebe zu unterdrücken.
R. S. ist Deutscher, im Alter von 29 Jahren, und hat das Ingenieur-Diplom einer Uni- versität seines Landes. Er ist ein intelligenter Mann, ordentlich in seinen Gewohnheiten, verständig und sympathisch in seine'm Äußeren. Er kennt seinen Zustand, die Natur- anlage seiner Verirrungen und ihre Bedeutung, und ist vollkommen mit allen Maßnahmen einverstanden, die die Ärzte bezüglich seiner Behandlung getroffen haben.
S. ist in der Irrenanstalt interniert worden auf Grund de-s Deliktes, dem Fräulein G. M. den Zopf abgeschnitten zu haben. Wir geben nachstehend einige Abschnitte seiner Autobiographie wieder, die besser als unsere Versuche einer Auslegung ein anschauliches Bild über seine ersten Impulse geben werden, über die Unwiderstehlichkeit seiner Nei- gung, über seine Konflikte mit der Polizei, wie über die Entwicklung und die. Eigen- tümlichkeiten seiner Krankheit, ihre unausbleiblichen Folgen, und die Heilungsversuche.
S. sagt: „Es fäUt mir außerordentlich schwer, dies niederzuschreiben, und ich leide sehr unter der Scham über taeine Verirrung und dem Schimpf, den sie auf mich ladet.
40 I- Kapitel: Fetischismus
Ich war im Alter von etwa 15 — 17 Jahren, als ich zmii ersten Male Frauenhaar abschnitt, und zwar war es das Haar meiner Schwester. Meine Mutter und meine Schwester er- fuhren, daß ich es getan hatte, doch legten sie der Sache keine Bedeutung bei. Schon als Kind folgte ich den M.ädchen, die lange Zöpfe trugen, oft lange Zeit durch die Straßen, immer in Furcht, daß sie erraten könnten, warum ich ihnen folgte. Ich studierte in Berlin an der technischen Hochschule, und hier war es, wo ich zum erstenmal verhaftet wurde, nachdem ich einigen Mädchen das Haar abgeschnitten hatte. Meine Fa*milie brachte mich zuerst nach der „Maison de Sante", einem in der Nähe von Berlin befindlichen Hospiz, und dann nach dem Sanatorium Buchheide des Doktors CoUa, in der Nähe von Stettin, welcher Versuche machte, mich durch Hypnose zu kurieren, doch ohne irgend einen Erfolg zu haben. Darauf setzte ich meine Studien an der technischen Hochschule in Braunschweig fort. Dann wurde ich während eines Aufenthaltes in Hamburg zum zweiten Male ver- haftet, nachdem ich wieder einigen jungen Mädchen das Haar abgeschnitten hatte. Nun wurde ich nach der Hamburger Anstalt ,, Friedrichsberg" gebracht, und dann nach de"m in der Nähe von Berlin befindlichen „Kurhaus Westend", wo man mich mit Bädern, Ab- reibungen und gymnastischen Übungen behandelte. Nachher ging ich in Begleitung meiner Mutter nach Braunschweig zurück ujid blieb dort, bis ich im Somtaer des Jahres 1910 mein letztes Examen als Ingenieur bestanden hatte; nachdem ich. noch einige Zeit als Assistent eines Professors jener Schule gearbeitet hatte, begab ich mich nach der südamerikanischen Eepublik Argentinien."
Das Phänotnon seiner sexuellen Verirrung beschreibt S. selbst: „Nachdem ich das Haar abgeschnitten habe, gehe ich nach meinem Hause nnd küsse da fort und fort das reizende Haar, ich drücke es an meine Wangen und Nase, und schlürfe den köstlichen Duft des Haares ei n." Es genügt, dieses Selbstbekenntnis des S. zu lesen, um zu verstehen, daß es sich um einen Fall von erotische'm Fetischismus handelt. — Darf man nun, alle solche Fälle von Fetischismus als eine Abnormität betrachten? Sicher nicht! In einem ge- ringen Grade, mit Mäßigkeit geübt, bildet die Vergötterung der Hand, des Fußes, des Haares oder der Stimme nur eine ganz spezielle, symbolische Form unserer Liebe, die ihr Ideal nur auf ein bestimmtes Eletoent, einen Teil der menschlichen Schönheit beschränkt, und dasselbe dürfen wir von der Gewohnheit sagen, die von der geliebten Person ge- brauchten Gegenstände abgöttisch zu lieben. Die Psj'chiatrie erkennt den Liebenden dieses Eecht zu, bei Gefahr allen Menschen pathologische Stigmata zuzuschreiben, und sie dringt auch nicht weiter in das Gebiet der Gewohnheit ein, persönliche vindenken und intime Gegenstände aufzubewahren, was als eine übertriebene Sentimentalität bezeiclinet werden darf, wenn einem Taschentuche oder einem Bilde der ganze repräsentative Wert des geliebten Wesens beigemessen wird.
Neben dieser Vergötterung, deren fundamentale Ursache doch immerhin die Person selbst bildet, existiert noch ein pathologischer Fetischismus, der mit Normalität unver- einbar ist und bei welchem der Person nur eine sekundäre Bedeutung beigemessen wird, oder die dabei oft gar keine Rolle spielt. Im ersten Falle wirkt die Anziehung teilweise oder ausschließlich durch einen bestimmten Körperteil der geliebten Person, der gewisser- maßen ein Monopol bildet in der Darstellung des ganzen Körpers. Im anderen Falle ist es die Liebe zu einem bloßen Gegenstande, der der geliebten Person angehört, wie z. B. der Fall der Schuhe der Celestina, den Mirbeau beschreibt. Tanzi unterscheidet diese bei- den letzteren Formen des Fetischismus in paraphysiologischen und antiphysiologischen Fetischismus, und nennt diese letztere Liebe außerkörperlich (extraterritorial), eine das Gebiet des Körpers verlassende Liebe, die er als die extremste Form von ab- göttischer Liebe bezeichnet, die die Wissenschaft kennt. Nach dieser Klassifikation könnten wir also den uns vorliegenden Fall folgendermaßen diagnostizieren: St. ist ein erblich belasteter Degenerierter, dessen Verirrung (desequilibrio) als paraphysiologischer Feti- schismus vorgerückten Grades sich kundgibt (fetischismo parafisiologico avanzado). Nach dieser Diagnose erübrigt nun noch, über die Behandlungsweise des Herrn St. sich auszu- lassen. Wir halten uns für. berechtigt, seine Internierung zu fordern. Es ist unleugbar, daß- die sexuelle Perversität des Herrn St. mit einer ganz hervorragenden Intelligenz zusammen-
T. Kapitel: Fetischismus 4]
gellt, nichtsdestoweniger macht sie ihn ungeeignet zu einem brauchbaren Gliede der Ge- sellschaft, da er außerstande ist, seine Neigung zu beherrschen. Diese Wider- standslosigkeit seiner Neigung, gegenüber, die er als unbe- siegbar bezeichnet, hat seinen Namen, seine Karriere und seine Position vernichtet und hatte 20 Verfehlungen gezeitigt bis zu dem Moinente seiner Inhaftierung, die erfolgte, nachdem er den 21. Zopf abgeschnitten hatte. Seine Anfälle neigen also ganz evident zu Wiederholungen und machen einen intelligenten Mann unbrauchbar für das Leben. Nur die Absperrung und eine vorsichtige ärztliche Behandlung können ihn der Gesellschaft wiedergeben, oder wenigstens den gegenwärtigen Zustand seiner Perversität verbessern. In diesem Sinne und in Übereinstimmung mit seinen eigenen Wünschen empfehlen wir die Internierung des Herrn St. im Hospicio de las Mercedes."
Man hat anläßlich dieses und ähnlicher Fälle die Frage auf- geworfen, oh sich der Zopfahschneider objektiv eines Diebstahls, einer Sachbeschädigung, der Körperverletzung oder Beleidigung schuldig macht. Der bedeutende Kriminalist W u 1 f f e n verneint den Diebstahl und die Sachbeschädigung, da der Zopf als Körper- teil keine „fremde bewegliche Sache", überhaupt keine „fremde Sache" im Sinne der betreffenden Gesetzesbestimmung sei, er bejaht hingegen die Beleidigung und auch die Körperverletzung, und zwar als eine im Sinne des § 223 a StGB, mittels gefährlichen Werkzeugs verübte, da der Zopf mit einem Messer oder einer Schere abgschnit- ten wird.
Die Frisur nimmt nicht nur in Zopfform, sondern auch sonst als Fetisch im Liebesleben einen sehr beträchtlichen Raum ein; beson- ders gilt dies vom Scheitel. Vor vielen; Jahren suchte mich einmal eine ältere Dame auf, die seit Erwachen ihres Geschlechtstriebes lediglich durch den Scheitel in der Mitte in erotisch© Wallungen versetzt wurde; trotz des daraus gezogenen Lustgewinns empfand sie den sich immer wieder einstellenden Gedanken daran als eine sie peinigende Zwangsvorstellung, deren sie sich schämte.
Auf viele Prostituierte, aber keinesfalls nur auf diese, übt das mit Pomade fest an die Stirn angeklebte Haar, die sogenannte „Schmalztoll e" einen großen Eeiz aus. In Verbindung mit dem ,,kessen Rundschnitt", wie man in diesen Kreisen den hochausrasier- ten Nacken bezeichnet, bildete er lange in allen Großstädten ein starkes erotisches Lockmittel, dessen sich Zuhälter, Apachen und andere Deklassierte bedienen. Ganz dieselbe Anziehungskraft übt auf eine andere weibliche Gruppe, zu der viele der sogenannten „Backfische" gehören, die „Künstlertolle" aus. Manche Männer legen sich Sammlungen von Nackenhaaren weiblicher Personen an, denen sie in ihrem Leben erotisch nahegestanden haben. Nicht selten rühren diese „Haarsträußchen" auch von Schamhaaren her. Kurzgeschnit- tenes Haar bei Frauen, die als Tituskopf oder Pagenkopf bezeich- nete Haartracht, wirkt auf einige Personen, und zwar auf Männer mit femininem Einschlag, ebenso aber auch auf gewisse homo- • sexuelle Frauen fetischistisch, auf andere Individualitäten jedoch.
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und zwar die größere Menschenzahl, antierotisch. Falsche Haare sind oft ein Objekt des Fetischhass es , und zwar in sol- chem Grade, daß sie zu einem erheblichen Ehehindernis werden können. In einem Eheanfeehtungsprozeß, in dem ich gnitachtlich gehört wurde, gab der Mann an, daß seine jun^e Gattin nach der Hochzeit plötzlich ihre pompöse Frisur abnahin, an deren Schön- heit er sich als Bräutigam besonders erfreut hatte. Sie sei fast kahlköpfig in das Ehebett gestiegen und hätte er sich, da er keine Ahnung hatte, daß sie eine Perücke trug, erschreckt und entsetzt von ihrem Anblick abgewandt. Sein vorher erigiertes Membrum sei sofort zusammengeschrumpft und jede sexuelle Verkehrsmög- lichkeit von da ab avisgeschlossen gewesen. Er focht, und zwar mit Erfolg, die Gültigkeit der Ehe wegen Verschweigens der falschen Haare als eines wichtigen Umstandes an.
Eine ungemein selektive Bedeutung hat die Haarfarbe, bald sind es recht helle, blonde, bald tiefschwarze, bald kastanien- braune Haare, die irritativ, sei es attraktiv oder negativ, wirken. Ein Mann meiner Praxis, galizischer Kaufmann, war von einem sadistischen Haß gegenüber roten Haaren erfüllt. Gleichwohl heiratete er schließlich eine Frau mit „knallrotem" Haar. Zu seiner Rechtfertigung gab er zwei Gründe an: Er hätte geglaubt, durch die eheliche Gewöhnung würde er sich seine Abneigung „abgewöhnen" können, außerdem sei seine Frau so vermögend gewesen, daß er um dieses Vorzugs willen das körperliche Defizit in den Kauf genom- men hätte, zumal alle, die er gefragt habe, das feurige Haar eher schön als häßlich gefunden hätten. Um seinen Ekel hypnotisch heilen zu lassen, suchte er mich auf. Ich schlug zunächst der Frau vor, ihr Haar färben zu lassen. Sie lehnte dies energisch ab. Den Widerwillen ihres Mannes faßte sie als persönliche Beleidigung," bestenfalls als eine Marotte auf, die er, „wenn er sie wirklich liebte, aufgeben müsse"; ähnliche Gedankengänge kommen bei der Un- kenntnis und ünterschätzniig fetischistischer Zwangszustände im Publikum nur allzu häufig vor. — Die Ehe wurde getrentit. Selbst graumelierte und weiße Haare kommen als Fetischismen in Frage. Ich hatte einen Patienten, der seiner Gattin beim Koitus eine weiße Perücke aufsetzte. Die Mode bepuderter und weißhaariger Perücken dürfte, wie in ihrem Ursprung die meisten Moden, nicht ohne feti- schistischen Beigeschmack entstanden sein.
Fast ebenso intensiv wie das weibliche Kopfhaar auf den Mann wirkt das männliche Barthaar auf das Weib, namentlich nimmt „ein schöner Schnurrbart" oft den Charakter einer überwertigen Idee an, wobei der optische Eindruck durch den taktilen, die Tastwirkung nicht unwesentlich erhöht wird. Der kurzgeschnittene Schnurrbart, die sogenannte „Bürste", ist gleichfalls ein ziemlich verbreiteter Fetisch, ebenso der B ar t flaum, und zwar dieser nicht nur im mann- ,
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liehen, sondern auch im weiblichen Gesicht. Fast für jede Bart- tracht finden sich Liebhaberinnen, verhältnismäßig noch am wenig- sten für den Vollbart, der dagegen als Antifetisch eine nicht ge- ringe Rolle spielt.
Ein ganz seltener Fall, den auch Krafft-Ebing anführt, ist der eines Mannes, der auf Frauen mit Vollbärten eingestellt war. Als seine erste Gattin, eine bekannte Bartdame, verstorben war, ruhte er nicht eher, bis er wieder ein Weib mit stattlichem Vollbart sein eigen nannte. Liegt hier zweifellos eine Rarität vor, so ist der umge- kehrte Fall, die Liebe von Frauen zu Männern mit weiblichem, also negativem Gesichtshaar typus, eine um so häufigere Erschei- nung. Die Mode männlicher Bartlosigkeit stimmt mit der großen Verbreitung dieses Fetischismus überein, in dem man nicht ohne gTiten Grund ein Anzeichen dafür hat erblicken wollen, daß die beiden Geschlechter sich nicht nur in physiognomischer, sondern auch in psychologischer Hinsicht einander näher gekommen sind. Sicherlich ist die jeweils vorherrschende Barttracht als Gradmesser für die Geschlechtsakzentuierung eines Zeitalters von einer nicht zu unterschätzen- den Bedeutung.
Ein Fetisch, der infolge Pigmeutkorrespondenz häufig mit dem Haarfetischismus parallel läuft und sich mit ihm zu einer Einheit verbindet, ist das Auge. Der zwischen beiden bestehende Zusammen- hang ergibt sich daraus, daß blonde Haare gewöhnlich zusammen mit blauen Augen vorkommen und ebenso auch die braune und schwarze Farbe des Kopfhaares und der Iris übereinzustimmen pflegen. Dunkle Augen bei hellem Haar oder eine blaue Regen- bogenhaut bei schwarzem Haarschmuck gelten infolge ihrer Selten- heit als besonderer Reiz, der aber grade deswegen gelegentlich stark fetischistisch wirkt. Personen, für die das Auge ohne jede ero- tische Bedeutung ist, gibt es auch, sie sind aber Ausnahmen und werden an Zahl weit von solchen übertroffen, für welche das Auge nicht nur als Spiegel der Seele stark anziehend wirkt, sondern eine weit darüber hinausgehende fetischistische Bedeutung gewinnt. Es kommt dabei nicht nur auf die Augenfarbe an, sondern auf jede einzelne Eigenschaft des Auges, die Größe der Pupillen, auf den von der Absonderung der Tränendrüsen abhängigen Glanz und Schimmer des Auges, auf die Wimper und Augenbrauen, so sind zu- sammengewachsene Augenbrauen oft ein Fetisch, oft aber auch ein Antifetisch — endlich, auch auf die Augenlider, die Lidspalte und die Form des ganzen A uges. Welche subjektiven Täuschungen hier der Fetischzauber herbeiführen kann, zeigte mir vor einiger Zeit eine Antwort, welche ein Mann, der in Erpresserhände geraten war, auf Vorbehalt als Zeuge vor Gericht gab: „Wie konnte ich glauben," meinte er, „daß ein Mensch mit so guten, treuherzig
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blauen Augen so schleclit sein kann." Ein unwiderstehliclier Fe- tisch sind für manche Männer die Tränen der Frauen. Sogar Augenfehler, wie Flecken auf der Hornhaut, verzerrte oder unge- wöhnlich enge oder weite Sehlöcher, Glotzaugen, hochgradige Kurz- sichtigkeit, ja selbst Blindheit können als Fetisch auftreten. So suchte mich kürzlich ein 24jähriger Kriegsblinder mit einem 19jäh- rigen, ungewöhnlich schönen Mädchen auf, das sich in ihn verliebt und eine bevorstehende Verlobung mit einem wohlhabenden älteren Manne gelöst hatte. Das Mädchen gab an, daß Blinde in ihrer eigenartigen Hilflosigkeit sie von jeher besonders gefesselt hätten. Die stille mutige Art, wie sie ihr Unglück zu überwinden suchen, hätte „so etwas unendlich Kührendes". Dieser junge, tapfere Blinde — er war von Beruf Musiker — sei ihr ein und alles. Wenn die Eltern auf ihrem Plan, die Verbindung zu trennen, bestehen würden, seien sie entschlossen, ihr Leben gemeinsam zu beschließen. Sie suchten mich mit dem Ersuchen auf, die Eltern von der Un- löslichkeit ihres Bundes zu überzeugen, dessen Folge sich übrigen& bereits durch eine dreimonatliche Gravidität bemerkbar machte.
Im Vergleich zum Augenfetischisten ist der Nasenfeti- sch ist selten, jedenfalls ist er bei weitem nicht so verbreitet, wie man nach der Lage des oft so herausfordernd hervorspringenden „Gesichtserkers" annehmen sollte. Bei der fetischistischen Vorliebe für große Nasen ist manchmal ein mehr oder weniger unbewußter Phalluskult im Spiel, indem eine alte Volksvorstellung, die freilich wie viele keineswegs organisch begründet ist, dahin geht, daß die Größe der Nase für die des männlichen Gliedes bezeichnend ist; ein alter Spruch der Folklore lautet dementsprechend: „An der Nase des Mannes erkennt man den Johannes, am Munde des Weibes den Spalt ihres Leibes." Von erheblicher fetischistischer Reizwirkung ist neben ihrer Größe die Nasen form, wie die griechische, die Haken- und Adlernase, das „Stupsnäschen". Einen besonderen Fetisch bilden auch die Nasenlöcher und Nasenflügel. In Berlin gab es einen Mann, der den Beinamen „Nasenpaula" führte; um seine Nasenlöcher zu erweitern, stopfte er sich nachts die NasenöfPnun- gen aus oder versah! sie mit Klammern; dieser Mann war auch, bei anderen auf große Nasenlöcher versessen, auf die er mehr achtete, als auf jeden anderen Körperteil. Krafft-Ebing zitiert den Fall eines 34 jährigen Gymnasiallehrers, der „den Sitz der weiblichen Geschlechtsorgane in die Nasenlöcher verlegte". Um diese Vor- stellung drehte sich seine sehr lebhafte sexuelle Begierde. Er ent- wirft Zeichnungen von Frauenköpfen mit Nasenlöchern, die so weit sind, daß sie die immissio penis ermöglichen. Eines Tages erblickt er in einem Omnibus ein Mädchen, dessen Nase sich seinem Ideale näherte; er folgte der Person in ihre Wohnung, hält sogleich um ihre Hand an, wird abgewiesen und dringt immer wieder ein, bis-
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er verhaftet wird. Geschlechtlichen Umgang hatte der Mann nie- mals gehabt.
Auch die Farbe der Nase, die rote und blaue, die Nasenabsonde- rung, der Nasengeruch, selbst die Ozaena wirken bald fetischistiscli, bald antifetischistisch.
• Fälle von Mundfetischismus führt bereits Krafft-Ebing an, einer der von ihm beschriebenen trat später in meine Behand- lung. Er betrifft einen Juristen, dessen ausschließliche sexuelle Be- tätigung usque ad eiaculationem in Aneinanderdrücken der Lippen alias Küssen bestand. Aufgeworfene, wulstige Lippen zogen ihn derart an, daß sie, gleichviel ob beim weiblichen oder männlichen Geschlecht, fast den ausschließlichen Inhalt seiner geschlechtlichen Begierde bildeten; nur bei farbigen Rassen, namentlich dort, wo sie als Rassenmerkmal auftreten, ließen sie ihn kalt. ,Eine fast noch höhere Bedeutung als die Form und Farbe der Ober- und Unterlippe kommt der zwischen den Lippen sichtbaren Zahnreihe zu, deren physiologische Attraktionskraft sich unter pathologischen Verhält- nissen bis zum hochgradigsten Fetischismus steigern kann. Am Mundfetischismus nehmen sämtliche Sinnesorgane teil. Wie sich das Auge an der Form und Farbenspiel von Lippen und Zähnen ergötzt, so erfreut sich das Ohr an dem Laut der Küsse und das Gefühl an der wechselseitigen Berührung der zarten mit zahllosen Tastkörperchen versehenen Schleimhäute. Aber auch der Geruchs- und Geschmackssinn sind nicht unbeteiligt. So wirkt auf manche Frauen der Tabakduft, ja sogar die alkoholische Ausdünstung des männlichen Mundes sinnverwirrend, nicht selten freilich auch anti- fetischistisch ein. Von großer fetischistischer Bedeutung sind die Mundbewegungen, wie der schmollende Mund („das Maulen"), der sprechende, singende, kauende und vor allem der lächelnde und lachende Mund. Dem melodischen Lachen eines Weibes („ihres Lächelns holdem Zauber") sind viele Männer widerstandslos er- legen.
Es würde den uns zur Verfügung, stehenden Raum weit über- schreiten, wenn wir, um vollständig zu sein, von einem Körperteil- chen zum andern gebend, alle Fetischreize der ganzen menschlichen Körperoberfläche durchnehmen würden. Wir müssen uns daher in der Folge beschränken, die einzelnen Fetischstellen kurz hinterein- ander aufzuzählen und wollen nur gelegentlich durch ein typi- sches Beispiel den besonderen Fetischismus näher veranschau- lichen.
Lii Gesicht ist außer den bisher erwähnten Fetischismen noch an- zuführen: der Ohr en fe tisch isni US. Fetischistisch wirken hier die Ohrform, die Ohrfarbe, bald dicke, fleischige, bald dünne, zarte Ohren, ferner große, abstehende, sowie vor allem kleine Ohren; ferner auch angewachsene Ohrläppchen, Knötchen im Ohrrand, be-
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wegliche Ohren, sowie Einstiche für Ohrringe. Ich hatte einen Fall, in dem jemand an der Zwangsvorstellung litt, die Ohren weib- licher Personen zu ergreifen, an der Ohrmuschel zu ziehen, zu spielen und den Finger in ihren äußeren Gehörgang zu führen. Patient war durch Ausführung dieser ihn zwangsmäßig beherr- schenden Hantierungen wiederholt in Ungelegenheiten gekommen. Die Ohröffnung giehört, ähnlich wie die Mund- und Nasenöffnung, für manche Petiscliisten zu den sexuell erregenden Löchern der Körperoberlläehe.
Es folgt der K i n n - und Wangenfetischismus. Auch hier kommt vor allem die Form in Frage, das runde, starke, breite Kinn, die Pausbacken und hohlen Wangen, ferner der Teint, die roten Bauernbacken, die bleichen Wangen, auch die abgezirkelte Gesichtsröte der Schwindsüchtigen, die „Kirchhofsrosen", wie^ sie im Volksmunde heißen, findet ihre schw^ärmerischen Verehrer. Eines der hauptsächlichsten Fetische dieser Körperpartie aber sind die auf örtlichem Fettmangel beruhenden Grübchen, sowohl die Wan- gengrübchen, als das Grübchen im Kinn. Die Mehrzahl der G r ü b - chenfetischisten sind physiologischer Art, es gibt aber auch solche, die in pathologischer Weise völlig von ihrer Leidenschaft be- herrscht werden. Es ist bezeichnend, daß bei den Griechen die Be- zeichnung für eine andere grübchenhafte Hauteinsenkung, nämlich die mediale Nasolabialrinne cpiltQov lautet, was nichts anderes als Liebeszauber bedeutet.
Einige Worte auch über die fetischistische Bedeutung ' der Ge- sichtssekrete : Das Sekret der Tränendrüsen ist oft- von stark fetischistischer Wirksamkeit. Es gibt Männer, und zwar keines- wegs nur sadistische, die Frauen absichtlich zum W^einen bringen, um aus dem Anblick ihrer. Tränen Lust zu schöpfen. Die Flüssig- keiten der Mundhöhle dagegen wirkt häufiger antifetischistisch als fetischistisch. Doch kommen zweifelsohne auch Speichelfetischisten vor, die den heftigen Drang haben, sich von geliebten Personen in den Mund speien zu lassen. In mehreren Fällen meiner Beobach- tung wurden Frauen von Männern, die „kräftig spuckten", ange- zogen. Überwiegend antitropisch wirken die Absonderungen des Gehörgangs und der Nasengänge, immerhin kann eine übermäßige Leidenschaft auch hier dazu führen, daß im, Sinne eines Antifetisch- Fetischismus etwas, was im Grunde abstößt, anzieht.
Rümpffetischismus.
Die drei fetischistischen Reizstellen von stärkster Wirksam- keit am Rumpf sind Brüste, Hüften und Genitalien. Aber auch von diesen Hauptregionen abgesehen ist der Rumpf fast ebenso reich an Fetischismen wie das Gesicht. Im einzelnen hervorzuheben
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wäre: der H a 1 s f etiscMsmus ; sowohl der kurze, dicke, als der lange „Schwanenhals" haben fetischistische Anhänger; ebenso der freie Hals beispielsweise bei Matrosen und vor allem bei dem weiblichen „Dekollete". Ich hatte einen Patienten, einen Lehrer, der «die Nei- gung hatte, seine Hand in den Halsausschnitt von Mädchen gleiten zu lassen, die Matrosenkleider trugen. Er zog sich infolge dieses stark zwaugsmäJßigen Triebes schließlich eine Anklage wegen tät- licher Beleidigung zu. Ein anderer Patient von mir wurde von der Stelle des siebenten Halswirbels fasziniert. Dieser Hauterhöhung wandten sich seine Blicke zu, wo er ihrer nur immer ansichtig werden konnte. Die seltsame Vorliebe verliert etwas an Sonder- barkeit, wenn man in Betraclit zieht, daß allen Vorwölbungen und Einsenkungen der Körperoberfläche ein besonderer ero- tischer Magnetismus innezuwohnen scheint. So ist es an äer Vor- derseite des Halses der Adamsapfel, von dem vielfach eine ganz erhebliche Anziehungskraft ausgeht. Stärker allerdings noch wie die Struktur fesselt die Funktion dieses Organs, „das Organ" — wohl der einzige Fall, in dem dieses Wort nicht im anatomischen, sondern zugleich im physiologischen Sinne gebraucht wird — die Stimme. Die Zahl der Stimmfetischisten ist ungemein groß. Viele überflüssige Telephongespräche beruhen lediglich auf akusti- schem Fetischhunger. Wenn Alexander Dumas in seiner Novelle: „la maison du vent" eine Frau schildert, die ihrem Mann die Treue bricht, weil sie der Stimme eines Tenors unrettbar ver- fallen ist, und Binet angibt, daß so manche Heiraten, welche mit Sängerinnen geschlossen wurden, auf den Fetischzauber ihrer Stimme zurückzuführen sind, so deckt sich dies völlig mit den sexualwissenschaftlichen Forschungsergebnissen neuerer Zeit.
Vom Kehlkopf gelangen wir über die „runden" Schultern des Weibes und den „starken" Nacken des Mannes zu den Briisten beider Geschlechter. Hier kommt für viele Frauen in erster Linie die behaarte Männerbrust in Betracht, umgekehrt für zahlreiche Männer als einer der heftigsten Fetischreiz© der als sekundärer Ge- schlechtscharakter an Wucht alle anderen Geschlechtszeichen über- ragende weibliche Busen mit allen seinen Einzelheiten, der erek- tilen Brustwarze, dem bald mehr braun gefärbten, bald mehr rosi- gen Warzenhof samt den Montgomeryschen Drüsen. Selbst die feinen Brusthärchen lösen noch fetischistische Lustgefühle aus. So über- aus attraktiv die weiblichen Brüste die Sinne des Mannes, vor allem seine Seh- und Tastnerven beeinflussen können, so kommt aber doch gelegentlich auch eine antitropische Aversion vor, wie der oben beschriebene Fall von Fetischhaß eines Arztes gegen die weib- lichen Brüste beweist.
Hängebrüste sind, ebenso wie Hängebauch und Doppelkinn, meist wie alles hypertrophisch Abnormale von antifetisehistischer,
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gelegentlicli aber auch von fetiscliistischer Wirkung. Eine spezi- fische Verkehrsform der Brustfetischisten ist der zwischen den an- einandergedrüclvten Brustdrüsenkörpern ausgeführte Coitus i n t e r - jn a m m.a 1 i s. Für die Region zwischen Brustkasten und Becken- gürtel an jeder einzelnen Partie, namentlich für die Gegend der „Taille", gibt es gleichfalls viele Fetischisten. Einen antifetischisti- schen lieiz übt manchmal der Nabel aus. Ich hatte in meiner Praxis mehrere Fälle, in denen der Anblick des weiblichen Nabels l)ei Männern Übelkeit bis zum Erbrechen verursachte. Vielfach wird ein starker Leib zum Fetisch sow^ohl beim Weibe als beim Manne. Daß auf dem Gebiet des Fetischismus das, was wirklich vorkommt, alles, was man sich vorstellt, weit übertriJBft, zeigt, daß selbst von den Darmgasen attraktive Wirkungen ausgehen können. So sah ich in einem Montmartrelokal in Paris ein Mädchen auftreten, die sich la femme petomane nannte und ihr zahlreiclies Auditorium dadurch teils erheiterte, teils erregte, daß sie von Zeit zu Zeit unter witzigen Bemerkungen Flatus von verschiedener Stärke und Länge produzierte. Diejenigen, welche ihrem Olfactorius mehr Lust ver- schaffen wollten, saßen in den vorderen, die sich mit dem akustischen Reiz begnügten, in den anderen Reihen.
Der Hüftfetischismus ist weit verbreitet, und zwar sind es sowohl sehr breite, als sehr sehmale Hüften, die in Verbindung mit einem entsprechenden stark oder schwach entwickelten Gesäß Männer an- ziehen, die ihrerseits metatropisch oder feminin veranlagt sind, während Hüften von mittlerem Umfang den sogenannten nor- malen Mann am meisten zu reizen scheinen. Eine gewisse Rolle spielt auch das besonders im Orient und bei wilden afrikanischen Völkerschaften häufig vorkommende übermäßig ausgebildete Hin- terteil, der Fettsteiß oder die Steatopygie, die den Eindruck einer natürlichen „Tournüre" (eines „cul de Paris") macht, sehr verschie- den freilich von dem Ideal, das sich die hellenischen ♦Bildhauer von der schönhintrigen Liebesgöttin, der „Venus kallipygos" bildeten.
Über dem Gesäß wirken die Rückengrübchen des Weibes — man findet sie nicht selten auch bei femininen Männern — als fetischistische Reizstellen; sie werden von manchen den Gesichts- grübchen als ästhetisch gleichwertig an die Seite gestellt. Im übrigen ist es am Rücken hauptsächlich noch die Einsenkung zwischen den Schulterblättern, auf die einige Fetischisten versessen sind. Nicht ohne Bedeutung ist auch die Rückenform als Ganzes mit den ihr eigenen „Verbeugungen", welcher manche erhebliche Be- achtung schenken; sogar der krumme Rücken, der Bnckel, hat seine Liebhaber und Verehrerinnen.
Wir kommen zum Genitalfetischismus. Natürlich ist darunter nicht der zum genitalen Endeffekt führende Treppenreflex zu verstehen, das ganz normale Drängen zu den Geschlechtsorganen
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als Sexiialziel, sondern die primäre und nahezu ausschließliche Fesse- lung an den männlichen oder weiblichen Genitalapparat. Von eini- gen, wie Krafft-Ebing, wird ein derartiger Genitalfetischismus für sehr selten gehalten, ja sein Vorkommen nahezu in Abrede ge- stellt,'andere, wie Bio eil und HirtJi, sind entgegengesetzter An- sicht, und Weininger geht sogar soweit, zu behaupten: Der ]\Iann existiert für das Weib nur als Geschlechtsteil, alle übrigen Eigen- schaften träten demgegenüber völlig in den Hintergrund; zwar finde die Frau das Glied keinesfalls scliön oder auch nur hübsch, es übe aber, wie auf die Menschen von ehedem das Medusenhaupt, eine hypnotisierende, faszinierende, bannende Wirkung aus. Eine ähn- liche Meinung scheint auch Goethe in den Paralipomena zum ersten Teil des Faust (Weimarer Ausgabe Band XIV, S. 307) den Teufel vertreten zu lassen.
Auf Grund eigener Studien und Erfahrungen halte ich in dieser Frage die eine extreme Meinung für ebenso verfehlt wie die andere. Zweifellos besitzt die normal empfindende Frau ein lebhaftes Inter- esse für das männliche Glied, wie dies im Phallus- und Lingamkultus deutlich in die Erscheinung tritt, es ist aber kaum stärker wie das Interesse des normalen Mannes für die weibliche Scham und kommt keinesfalls regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise als das primäre sexuelle Anziehungsobjekt in Frage; wenn, dann allerdings gewöhn- lich in fetischistischer Steigerung. Auch unter den Männern gibt es Gliedfetischisten, wie unter Frauen Vaginal- und Vulvafetischisten. Man sollte zunächst annehmen, daß solche Männer homosexuell sein müßten. Aber die Erfahrung zeigt, daß diese Voraussetzung in ihrer Allgemeinheit irrig ist. So suchte mich vor einigen Jahren ein Süd- deutscher auf — und dieser Fall blieb nicht vereinzelt — , der sich stundenlang in Bedürfnisanstalten aufhielt, um des Anblicks männ- lichen Glieder, namentlich erigierter, teilhaftig zu werden. Er trug Bohrzeug bei sich, um nach Art der Voyeure kleine Löcher in die Zwischenwände öffentlicher Klos^etts zu bohren, oder schüttete dort, wo die Zwischenwände niclit bis zum Boden reichten, Flüssigkeiten aus, in denen sich die Genitalien spiegelten. Dieser Mann, der über seine Zwangsvorstellungen, die ihm viel Zeit kosteten, sehr unglück- lich war, lebte in harmonischer, kinderreicher Ehe und wies die An- nahme homosexueller Neigungen weit von sich. Kürzlich suchte mich ein Pfarrer auf, ein verheirateter Mann, Vater dreier Kinder, der mehrmals im Jahre aus seinem Dorfe nach Berlin fuhr, von der Sehnsucht getrieben, sich dort als Phallusvoyeur umzutun. Er be- tonte immer wieder, daß ihn schon der bloße Gedanke mit Abscheu erfülle, jemals mit einem Manne in geschlechtlichen Verkehr zu treten, dagegen beherrschte ihn unausgesetzt in ge- radezu dämonischer Weise die Vorstellung eines möglichst stark entwickelten männlichen Gliedes. Auch der Fetischhaß, der
Hirschfeld, Sexualpatholog-ie. III. 4
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sich auf die Genitalien des anderen Geschlechts erstreckt, beruht durchaus nicht immer auf konträrer Sexualempfindung. Wieder- holt konsultierten mich Männer, die sich in jeder Hinsicht zur Frau hingezogen fühlten und dennoch vor der Vulva und dem Schei- deneingang eine ihnen ebenso unerklärliche wie unüberwiftdliche Avcfsion verspürten; sie sagten, daß ihnen die Berührung dieses Teils ebenso heftig widerstehe, wie die eines „schleimigen Tieres". Auch bei Frauen besteht dem Phallus gegenüber öfter eine überaus heftige Berührungsfurcht. So suchte mich vor einiger Zeit ein Mann auf, der sich von seiner Ehefrau getrennt hatte und die Scheidung beabsichtigte, weil sie sein Glied durchaus nicht „anfassen" wollte. Bei sonst normaler Triebriehtung sind solche Zustände hypnotischer Behandlung oder anderweitig geschickter Psychotherapie sehr wohl zugänglich.
Von Unterarten des Genitalfetischismus sind noch zu nennen: der H o d e n f etischismus ; die beweglichen Testikel bilden für viele Frauen ein „Spielzeug", das sie unwiderstehlich anzieht; ferner der Vorhautfetischismus; ein Urning bekundete, daß die freiliegende Glans penis ihm .jeden Umgang unmöglich machte, er bezeichnete das Aussehen eines von der Vorhaut unbedeckten Penis als „imper- tinent". Fetischismus für die Klitoris, die großen und kleinen Labien, namentlich in etwas hypertrophischem Zustand sind häufig. Die meisten Klitorisfetischisten sind Anhänger der Kunnilink- t i 0 n. Einen seltsamen Fall beobachtete ich seit fast 20 Jahren, einen Hermaphroditenfetischist en. Ich verdanke seinem fetischistischen Spürsinn mehr als einen wichtigen Fall von Herm- aphroditismus, den er veranlaßte, sich mir vorzustellen. In meiner Bildersammlung besitze ich eine Photographie, auf der dieser Patient sich auf dem Leibe eines Weibes sitzend so abnehmen ließ, daß sein Oberkörper in den Unterkörper der Frau überzugehen scheint, wodurch die Illusion, er sei selbst ein Pseudohermaphrodit, hervorgerufen wird.
Der Genitalfetischismus ist nicht nur an den ersten und fünften, sondern sehr oft auch an den dritten und vierten Sinnesnerv ge- bunden; namentlich die intensiven Ausdünstungen der beid- geschlechtlichen Genitaldrüsen werden von einigen mit einer sich zu fetischistischer Höhe steigernden Lust, von anderen mit antitro- pischer Unlust wahrgenommen. Diese starke Mitbeteilignng des Ol- faktorius gilt auch für dici letzte Form des Eumpffetischismus, den Analfetischismus. Die Analschnüffler, die den Geruch ihrer Lieblingsregion auch noch in den Kleidungsstücken, die mit diesen Teilen in Berührung kommen, zu erhaschen suchen, leiden unter ihrer Neigung vielfach um so mehr, als sie im übrigen äußerst penible Leute sind; ihre Vorliebe für die regio analis kann so enorm werden, daß das Abnorme ihres Triebes ihnen zwar völlig bewußt
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wird, sie dies aber nicht hindert, den doch gerade an dieser Stelle be- sonders verachteten Lambitionsakt mit Leidenschaft auszuführen; es finden sich im erotischen Jargon aller Sprachen für diese „Tour" Benennungen, die von ihrer Verbreitung und Stärke Kunde geben. Ich will diesen Abschnitt mit einem Gutachten schließen, das ich' über einen Genitalfetischisten abzugeben hatte, der sich eine An- klage wegen Abtreibung zugezogen hatte. Sein Motiv war nicht Gelderwerb oder Hilfsbereitschaft, sondern der zwangsmäßige Drang, die weiblichen Organe besserer Frauen zu besehen und zu betasten, ein Verlangen, das er am be- quemsten dadurch stillen zu können meinte, daß er Frauen ver- sprach, er würde ihnen die Leibesfrucht entfernen.
Der Fabrikant Karl Seh., geboren den 7. Dez. 1867 in X., befindet sich mit kurzen Unterbrechungen seit längerer Zeit in Beobachtung und Behandlung des Instituts für Sexualwissenschaft. Auf seinen Wunsch geben wir folgendes Gutachten über ihn ab, dem neben eigenen Beobachtungen auch das Gutachten des Prof. Pf ister vom 29. Juli 1919 zugrunde liegt. Der Untersuchte ist wegen versuchter und durchgeführter Beihilfe zur Abtreibung in insgesamt 3 Fällen, die im Jahre 19.. ausgeführt worden sein sollen, be- straft. Er gibt an, daß ihm bei der Ausführung jener Fälle die Absichtder Abtrei- bung völlig ferngelegen habe, daß er vielmehr den Frauen diese Absicht n u r vorgespiegelt habe, um bestiimiitc geschlechtliche Zwecke bei ihnen zu erreichen, niimlich das Besehen und Betasten ihrer Geschlechtsteile. Er habe sich in allen Fällen eines völlig ungeeigneten Instrumentes bedient, habe dieses femer nicht in einer Weise benutzt, daß es eine Abtreibung bewirken konnte, und habe in zwei der genannten Fälle gar nicht mit schwangeren Frauen zu tun gehabt, sondern mit vöUig gesunden. Im dritten Falle sei zwar ein Abort eingetreten, aber nicht durch seine Maiu- pulationen, denn er habe die benutzte, völlig ungeeignete Mutterspritze nur an den Scheideneingang gehalten, und zwar so, daß er ihren Inhalt, der aus einem Zwanzigstel- liter klaren Wassers bestand, gar nicht entleeren konnte: er hielt das Spritzenrohr mit der rechten Hand umklammert, während die linke auf dem Leibe der Frau lag. Das Wesent- liche seiner Darstellungen ist, daß in allen drei Fällen das Mittel, in zweien auch das Ob- jekt der versuchten Abtreibung ein völlig untaugliches war. Es habe bei iimi in keinem Falle die Absicht der Abtreibung oder der Vorsatz zu einer solchen, und erst recht nicht ein auf Verwirklichung dieses Vorsatzes gerichtetes planmäßiges Handeln vorgelegen, sondern er habe die Frauen mit ider Behauptung, er werde ihnen zur Abtreibung ver- helfen, getäuscht in dem klaren Bewußtsein, daß er weder abtreiben könne, noch dieses wolle. Er habe die Täuschung begangen zu dem Zweck, die Frauen ohne deren Wissen seinen geschlechtlichen Neigungen gefügig zu machen. Diese geschlechtlichen Neigungen seien besonderer Art: sie beständen lediglich im Be- sehen, Betasten und Her um spielen an weiblichen Geschlechts- teilen. Er habe seinen Zweck auch in allen Fällen erreicht; jedesmal sei Samenerguß eingetreten. Im normalen Geschlechtsverkehr sei er völlig impotent. Für seine Manipulationen habe er von keiner der Frauen Geldbeträge gefordert oder erhalten.
Es muß betont werden, daß Sch.S' Angaben, die bis ins einzelne gehen, und völlig gleichartig von ihm wiederholt werden, der Glaubwürdigkeit nicht entbehren. Er gibt an, in der Urteilsbegründung als gewerbsmäßig und gefährlich bezeichnet worden zu sein; würde das zutreffen, und mehr die Untauglichkeit des von ihm angewandten Mittels fest- stehen, so würde dieser Teil der Urteilsbegründung irrig und demgemäß das Strafmaß zu beanstanden sein. Aus diesem Grunde erachtet das ärztliche Gutachten es für ange- zeigt, die Tatbestandsfrage des Abtreibungsversuchs einer erneuten Prüfung zu unter-
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ziehen, unter ärztlicher Würdigung' der Eignung der angewandten Mittel zu dem inkri- minierten Zweck.
Auch die von Seh. erst jetzt gegebene Motivierung seines Tuns stellt nach unserem gutachtlichen Ermessen einen neuen Tatu'mstand von so einschneidender Bedeutung dar, daß auf Grund derselben eine Wiederaufnahme des Verfahrens — soweit dem ärztlichen Gutachter ein Urteil über einen Tatbestand zusteht, der nur unter Voraus- setzung fachärztlicher Feststellungen richterlich gewürdigt zu werden verinag — der Rechts- lage zu entsprechen scheint. Diese Motivierung hat der Untersuchte seinerzeit aus Scham- gefühl den Frauen gegenüber vor Gericht verschwiegen. Sie klingt dennoch, "unter Würdi- gung des gesamten ärztlichen Befundes der Beobachtungen Sch.s, außerordentlich wahr- scheinlich. Hinsichtlich dieser Beobachtung können wir uns dem Vorgutachten des Prof. Pfister im ganzen wie im einzelnen nur völlig anschließen. Wir verweisen auf dieses Gut- achten und behalten uns die Wiedergabe unserer einzelnen Beobachtungen für den ge- gebenen Fall vor. Ihr Ergebnis fassen wir dahin zusanünen: Seh. ist eine erblich be- lastete, von Haus aus imbezille und psychopathische Pexsönlichkeit. Die krankhafte Neigung seines Gefühls und Trieblebens erstreckt sich auf die mannigfachsten Gewohnheiten und Triebe. Sie berührt auch das Geschlechtsleben. Hier besteht Impotenz beim normalen Geschlechtsakt, welche mit einer hochgradigen reizbaren Schwäche des Nervensystems einhergeht. Letzteres hat sich seit der sogenannten Involutionszeit des Mannes zu dieser Stärke entwickelt. Gleichzeitig traten die seit der Pu- bertät vorhandenen, während der Jahre kräftigen Mannestums aber zurückgedrängten Züge eines perversen Sexuallebens in- fantiler Art wieder in den Vordergrund. Diese bestehen in feti- schistiscliem Schautrieb und Spieltrieb, der sich auf das weib- liche Genitale bezieht. Dieser Trieb wurde das direkte Motiv der Handlun^n, welche zu dem Verfahren wegen versuchter Abtreibung geführt haben.
Die Frage, wieweit Seh. für diese Handlungen verantwortlich sei, soll an dieser Stelle noch nicht berührt werden. Sie wird für später vorbehalten. Zur Zeit ist die Fest- stellung {\ei Tatsachen genügend, daß naeh unserem fachärztlichen Ermessen diejenigen Umstände, welche der psychologische Sachverständige festzustellen berufen ist, nicht vor- handen gewesen sind, aus denen sich die seelischen Vorbedingungen des Versuchs der Abtreibung tatsächlich zusammensetzen. Damit ist nach unserer Meinung eine neue wesentliche Tatsache gegeben, welche für die richterliche Auffassung der Handlungen, wegen deren Seh. verurteilt worden ist, von Bedeutung ist.
Wir fassen unser Urteil dahin zusammen: Die Handlungen, wegen deren Seh. ver- urteilt worden ist, entspringen nicht aus Motiven, die den Schluß auf ein tatsächliches Vorliegen von Abtreibung oder versuchter Abtreibung zulassen. Bei der krankhaften Geistesartung des Seh. ist die Feststellung der Motive seines Handelns Sache fachärzt- licher Begutachtung. Diese charakterisiert Sch.s Handlungsweise als eine Form perverser Sexualbetätigung, und zwar eines eigenartigen Genitalfetischismus bei einem Psychopathen.
Extremitätenfetischismus.
Sowohl die Arme als die Beine enthalten für Fetischisten eine Anzahl höchst wiehtig-er Fixationspnnkte. An erster Stelle sind hier an den oheren Extremitäten die Hände, an den unteren die Waden zu nennen. Daneben sind zu erwähnen die schwellenden Oberarme der Frau, die sich bei der Beugung so stark vorwölbende Oberarm- muskulatur des Mannes, der „Bizeps", der für zahlreiche Frauen .eine Attraktion ersten Kanges bildet. Ellenbogen und Unterarm kommen seltener als Fetische vor, um so häufiger aber die Hand und vor allem die Finger. Ein Patient schreibt: „Ich habe eine unbändige Leidenschaft für schöne, schlanke, edelgeformte, nicht fleischige
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Hände, die zart liniiert, gepflegt und sauber sind. Solche Hände zu liebkosen ist für mich ein nicht zu unterdrückender Wunsch. Das Berühren einer m ich faszinierenden Hand bringt mir große Erleichterung, im Gegensatz zum Coitus, nach dem ich mich sehr ermattet fühl e." Bald ist -es mehr das zarte, feine, weiche, schmale und durchsichtige „Händchen", bald mehr die derbe, knochige, grobe Arbeiterhand, die anziehend wirkt. Dementsprechend wird auch bald mehr der sanfte, leichte Hände- druck, bald der feste , umklammernde erotisierend empfunden. Fetische für sich bilden die Finger, die ungeschmückten sowohl als die reich gezierten. Ich hatte einen Fall,, in dem jemand gegen Fingerringe ebenso wie gegen Fingerhüte eine unbeschreibliche Idiosynkrasie empfand. Hauptsächlich aus Furcht vor dem Anlegen des Verlobungs- und Eheringes bei sich und seiner Frau konnte er sich nicht zur Heirat entschließen. An den .Fingern sind es wiederum die Nägel mit allen Details, die ein fetischistisches Kapitel für sich bilden. Vor Jahren suchte mich einmal ein Ausländer auf, der nichts so heftig liebte, wie schmutzige Nägel. Er fiel dieser abnormen Leidenschaft, die ihn, den vornehmen Aristokraten, in die niedersten Wohnwinkel trieb, schließlich zum Opfer, indem ein Straßenmädchen, das seinem Verlangen entsprach, ihn mit ihrem Zuhälter ermordete.
Am Bein kommt als Fetisch zunächst der Oberschenkel in Frage, dessen Oberhaut ebenso wie die des Knies viele Tastkörperchen ent- hält, deren Berührung geschlechtliche Sensationen auslöst. Es gibt eine recht beträchtliche Anzahl männlicher und weiblicher Personen, für die der Oberschenkel der absolute Mittelpunkt ihrer sexuellen Begehrungsvorstellungen ist.
Vor einiger Zeit suchte mich einmal ein Kniekehlen feti- schist auf, der durch Küsse, Betasten der weibliehen Kniekehlen, und wenn irgend möglich durch den ziemlich schwierigen Genital- taktus einer weiblichen Kniekehle sich zu befriedigen suchte.
Ungemein groß ist die fetischistische Bedeutung der weiblichen Waden und Unterschenkel. Es gibt Männer, die bei schlechtem Wetter Frauen sehr w^eite Strecken nachgehen, in der Hoffnung, daß' sie ihre Röcke raffen und dadurch ihre Waden den gierigen Blicken ihrer Verfolger preisgeben. Es soll hier schon darauf hingewiesen werden, daß dieser Anblick besonders auf Exhibitionisten als auslösender Anreiz zu wirken scheint. In meiner umfangreichen Ge- richtserfahrung auf diesem Gebiet konnte ich sehr häufig hören, daß der äußere Anlaß zum Exhibitionieren von den Waden halbwüch- siger Mädchen ausging. Näheres darüber findet sich in der Kasuistik, welche ich im Kapitel Exhibitionismus beibringen werde.
Der F u ß f e t i s c h i s m u s ist im Gegensatz zum Handfetischis- mus selten. Daß die Hand gewöhnlich nackt, der Fuß hingegen be-
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kleidet begehrt wird, dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, daß erstere in der Jugend meist entblößt, letzterer dagegen fast immer nur bedeckt beobachtet wird. Immerhin ist die Anzahl der Fußfeti- schisten, namentlich auch der Knöchelfetischisten, nicht unbeträcht- lich. Die Erfahrungstatsache hingegen, daß der nackte Fuß sehr oft antifetischistisch wirkt — ich kannte mehr als einen Mann, dessen Libido völlig in das Gegenteil umschlug, wenn eine Frau sich Schuhe und Strümpfe auszog — hängt sicherlich größtenteils mit der posi- tiv fetischistischen Wirkung der Beinbekleidung zu- sammen, über die wir uns w^eiter unten auslassen werden. Als Fetisch erster Ordnung ist auch noch die Bewegung der Extremitäten, so- wohl der Arme, als vor allem der Beine anzusehen, die Gestik und insonderheit der Gang. Der trippelnde Gang des "Weibes ist für viele Männer ebenso verhängnisvoll, wie der stramme Gang des Mannes für viele Frauen. Während des Krieges ging ich einmal durch den Haag, dessen Straßen Tausende englischer Soldaten in kleidsamer Uniform belebten, die durch ihren eigenartig schnellen und leichten Schritt überall ins Auge fielen. Als ich mit meinem Begleiter, einem alten holländischen Gelehrten, über diese Erscheinung sprach, meinte er: , .Durch diesen Gang sind schon verschiedene hundert holländische Mädchen zu Müttern geworden."
In erhöhtem Grade geht dieser Fetischzauber vom Tanz aus. In fast allen größeren Tanzlokalen hat der sachverständige Beobachter Gelegenheit, Tanzvoyeure ausfindig zu machen, die dadurch kenntlich sind, daß sie fast niemals selbst tanzen, dagegen kein Auge von den tanzenden Paaren lassen; es sind meist ältere Männer oder Frauen, 'deren Aufmerksamkeit entweder dem weiblichen oder männ- lichen Partner gilt, seltener beiden zugleich, doch erinnere ich mich eines Tanzfetischisten, den ganz ausschließlich der Gegensatz zwi- schen den kräftigen Männer- und zierlichen Weiberschuhen fesselte, so daß er stundenlang deren. Bewegungsspiel folgte, bis er schließ- lich zu einer orgastischen Sexualentspannung kam. Diesen Mann zogen lediglich Menuett- und Gavottetänze an, wie denn überhaupt jede Tanzart, vom Ballett und der Quadrille bis zum Bolotanz, vom ruhigen Walzer bis zum wildesten Galopp fetischistische Verehrer hat, deren distantielle Sinnesorgane, Seh-, Hör- und Riechsinn auf diesem Wege ihre höchste Befriedigung finden.
Kohärenz- und Adhärenzfetischismus.
Ehe wir nun zum Bekleidungs- oder Adhärenzfetischismus über- gehen, noch einige wenige Worte über den Koliärenzfetischismus. Darunter verstehen wir eine weit über das Durchschnittsmaß hinaus- gehende Anziehung, die auf manche Personen von Stoffen und G egen- ständen ausgeübt wird, die nicht als Gewandungen lose um- oder
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angelegt, sondern ganz unmittelbar auf die Körperoberfläche ge- bracht wierden. Dazu gehören Farbstoffe, die auf die Haut gerieben, gestrichen oder in sie hineingeätzt werden, wie Schminken, Puder, Tätowierungstusche; auch die namentlich in der Rokokozeit so über- aus beliebten aufgeklebten „Schönheitspflästerchen" sind hier zu nennen, ferner zahlreiche Metalle und Edelsteine, die als Ringe, Ketten und Spangen durch Ohren, Nasen, Lippen, über Finger, Arme und Beine gezogen, um den Hals gelegt oder im Haar befestigt werden. In dieses Gebiet fallen auch die künstlichen Nachhilfen fetischistisch stark in Betracht kommender Körperstellen, wie falsche Haare, künstliche Waden, Brüste und Hüften, die Tournüre, falsche Zähne, Goldplomben. In der Mehrzahl der Fälle bilden sie freilich einen Antifetisch. Es ist wiederholt und meines Erachtens nicht ohne Berechtigung als Ehescheidungsgrund geltend gemacht worden, daß eine Eigenschaft, auf die sich ein Ehemann besonders freute, sich bei „näherer Bekanntschaft" als „falsch" erwies. Wei- terhin sind hier die Verstärkungsmittel der Sinnesorgane, wie Brille, Hörrohr zu nennen. Die verschiedenen Arten der Augengläser rufen bald eine erotische, bald eine antierotische Wirkung hervor. Einen Pal] von Brillenfetischismus habe ich in meinen Naturgesetzen der Liebe geschildert, ein anderer, der sich nur auf uneingefaßte, runde Gläser erstreckt, wurde neuerdings von mir beobachtet, während im allgemeinen die Brille «mehr als Antifetisch gelten kann, im Gegensatz zum Kneifer, der vielfach bei Männern und sogar bei Frauen anzieht. Viele Männer sind allerdings gegen weibliche Augengläser geradezu von Fetischhaß erfüllt, doch ver- sicherte mir vor einigen Jahren eine der vornehmen Halbwelt an- gehörige. Frau, die stets ein Monokel trug, daß sie dadurch bei den Männern, an denen ihr gelegen sei, die größten Erfolge erziele. Daß auch das männliche Einglas von Gecken vielfach lediglich zu feti- schistischen Reizzwecken getragen wird, ist bekannt. Über die feti- schistische Bedeutung von Stöcken und Schirmen ließe sich gleich- falls ein ganzes Kapitel schreiben. Ich kannte eine Dame, für die jeder Mann, der einen Schirm trug, „geschlechtlich unmöglich" war, fast ebenso stark war ihr Fetischhaß gegen Krückstöcke, während Säbelrasseln sie in die höchste sexuelle Ekstase versetzte. Auch d-er Parfümfetischismus gehört zu den kohärenten Formen des Fetischis- mus. Er ist sehr verbreitet. Werden doch manche Parfüms aus- drücklich unter Hinweis auf ihre sinnliche Reizwirkung in den Handel gebracht. Es gibt Personen, die einem bestimm- ten Geruch gegenüber jede sexuelle Selbstbeherr- schung verlieren. So kannte ich mehrere Frauen, die vom Stallgeruch beim Manne dermaßen berührt wurden, daß sie jeden geschlechtlichen Widerstand aufgeben mußten. Bei anderen wirkt Bier- und Karbolgeruch, bei wieder anderen der Duft und Anblick
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bestimmter Schmuckpflanzen im Haar, im Knopfloch oder Gürtel des Mannes oder Weibes erotisierend.
Daß der Fetischismus, so wie er uns in seiner unendlichen Viel- gestaltigkeit entgegentritt, unmöglich als solcher angeboren Ist, sondern daß nur eine bestimmte Reaktionsfähigkeit angeboren sein kann, zeigt die weitverbreitete Gruppe, der wir jetzt unsere Auf- merksamkeit zuwenden wollen; sie erstreckt sich nicht auf lebendige Bestandteile des menschlichen Körpers, sondern auf leblose ad- härente Stücke, die zur Bedeckung oder Bekleidung einzelner Körper- teile bestimmt sind. Gleichviel ob diese Gewänder ursprünglich zum Schutz, als Schmuck oder aus Scham angelegt wurden, eins steht fest: in den Urzeiten und Urtrieben des Menschengeschlechts waren sie unbekannt. Jahrtausendelang strebten Mannes- und Weibeskörper unbekleidet einander zu und erst in unmittelbarer Gefolgschaft der allmählich auftretenden und sich bis zum heutigen Tage stetig ver- ändernden Kleidung entwickelte sich die physiologische und aus ihr die pathologische gesteigerte Sexualfreude an der Farbe, Form und dem Gewebe der Kleidung. Ist auch bei der Bekleidungswahl meist mehr der eigene Geschmack als der anderer Personen ausschlag- gebend und ist auch die Eitelkeit im wesentlichen narzißtischer Natur, so tritt doch auch die Bedeutung der Kleidungsstücke als Lockmittel, das Gefallen wollen durch sie klar in die Erscheinung. Jedenfalls kann man nach dem. ganzen wechselnden Charakter der Mode und ihrer individuellen Ausgestaltung nicht zweifeln, daß wir es bei dem Kleidungsfetischismus mit einer Triebstörung zu tun haben, bei der wie im ganzen Sexualleben der'^spezi- fischen Reizbarkeit eine spezifische konstitutio- nelle Reizstelle als endogen gegebene Voraus- setzung exogener Wirksamkeit entsprechen muß.
Wie beim Körperfetischismus würde es nun auch bei der Liebe zu den unbelebten Gegenständen, für die Chevalier'*) den Ausdruck „amour azoophilique" vorgeschlagen hat, die Auf gäbe eines gewissen- haften Forschers und Darstellers sein, die Kleidung vom Scheitel bis zur Sohle, oder genauer, von der Hutspitze bis zur Stiefelspitze, Stück für Stück durchzugehen, um zu erkennen, daß von diesen Stücken kein einziges, wenn auch . in sehr verschiedenem Grade, ohne fetischistische Bedeutung ist. Umgekehrt allerdings wie bei dem unbedeckten Körper bildet bei dem bedeckten nicht das Haupt mit allen seinen Einzelheiten, sondern das Bein die Hauptattraktionsstelle.
Führen wir nun auch hier einige der wichtigsten Fetischismen in gegebener Reihenfolge nacheinander an, so ergibt sich folgendes: Was die Kopfbedeckungen betrifft, so gibt es Kappenfetischisten,
9) De l'inversion de l'instinct sexuel au point de vue medicolegal. Paris 1885.
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Fetischisten für große und kleine Hüte, für Mützen aller Art von der eleganten Uniformmütze und kostbaren Pelzmütze bis zur Schlaf- und Zipfelmützg; auch der Mützensitz, die schiefe, grade, nach hinten ins Genick oder nach vorne in die Stirn gezogene Art sie zu tragen, spielt eine Rolle. In Berlin tauchten unmittelbar nach der Revolution eine ganze Menge Fetischistinnen für rote Kokarden auf; sie reichten aus den Kreisen der Prostitution bis in Hofkreise. Man findet Fetischisten für Zylinderhüte, Filzhüte, Panamahüte und andere Strohhüte mit Bändern in allen nur erdenklichen Anordnun- gen und Farben, Fetischisten für alle Formen weiblicher Hüte, mit und ohne Schleier, vom vornehmsten Pleureusen-Federhut bis zum schlichtesten Herrendamenreithut. Aber alle diese Gegenstände können auch Antifetische sein. So hatte ich einen Patienten, dem jeder Schleierhut bei einer Frau ein unerträglicher Anblick war, ein anderer hatte einen ähnlichen Fetischhaß gegen schirmlose Mützen, von deren Trägern er sich mit Schaudergefühl abwandte. Einen typischen Fall von Haubenfetisehismus berichten Charcot u. Magnan (in den Archives de neurologie 1882): Ein Herr, der einer Familie exzentrischer Originale entstammte, bekam mit 5 Jahren die erste Erektion, als er einen 30 Jahre alten Verwandten, der mit ihm in demselben Zimmer schlief, eine Nachtmütze aufsetzen sah. Die gleiche Wirkung trat ein, als er kurz darauf die alte Hausmagd beim Umbinden einer Nachthaube beobachtete. Seitdem genügte zur Erektion die bloße Vorstellung eines alten mit einer Nachthaube bedeckten Frauenkopfes. Bei Berührung einer Nachtmütze stei- gerte sich die Erektion zuweilen bis zum Samenerguß. Patient hielt sich von Masturbation fern und übte auch nicht den Koitus aus bis zum 21. Jahre, wo er mit einem schönen Mädchen von 24 Jah- ren die Ehe einging. In der Brautnacht blieb die geschlechtliche Potenz aus, auch in den folgenden Nächten, bis Patient in seiner Not darauf verfiel, sich bei dem Akt statt seiner jungen Frau eine Alte mit Schlafmütze vorzustellen. Hierdurch gelang ihm die Kohabitation. Seitdem, er ist jetzt 5 Jahre verheiratet, bedient er sich stets dieses Hilfsmittels. Er leidet seelisch sehr unter dieser ihm ebenso lästigen wie zum Beischlaf notwendigen Zwangsidee, durch die, wie er sagt, seine Frau und seine Ehe „profaniert" wird.
Bei der Halsbekleidung kommen als Fetisch zunächst Halstücher aller Art in Betracht. Von einem Fetischisten für feine seidene Hals- tücher bei älteren Herren besitze ich ausführliche Aufzeichnungen, ebenso von mehreren Fetischisten für „möglichst hohe" Stehkragen. Ferner gibt es Fetischisten beiderlei Geschlechts für weiche Kragen, für schmutzige Kragen, für Matrosenkragen und für Schillerkragen. "Über einen Matrosenkragenfetischisten; hatte ich ein Gutachten ab- zugeben. Er hatte sich jungen Mädchen mit sogenannten „Kieler Kragen" in verdächtiger Weise genähert. Ein homosexueller Feti-
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schist, forensischer Praxis, den ich während, des Krieges zu begut- achten hatte, wurde besonders durch die Halsbinde von Soldaten ge- reizt, daneben durcli ihre Halsbeutel sowie ^durch Amulette, die sie an Halsschnüren trugen.
Ein höchst seltsamer Fall meiner Beobachtung betrifft eiii'e Dame, die an Kragenknopffetischismus leidet. Ihre Grund- empfindung ist ein intensiver Fetischhaß gegen diesen Toiletten- gegenstand, dessen Anblick am Halse, einschließlich der Druck- stellen, die er vielfach in der Haut hinterläßt, sie stark irritiert. Erweckt aber jemand in ihr eine starke geschlechtliche Begierde 7— gewöhnlich sind dies, wie sie sich ausdrückt, „stilreine" Lebe- männer, so verwandelt sich diese mit Berührungsfurcht einher- gehende Aversion bei ihr in heftige Neugierde, das sonst ver- abscheute Objekt zu sehen, in den Mund zu nehmen und, wenn möglich, zu zerstören. Für den Gefühlsumschlag eines negativen in einen positiven Tropismus und umgekehrt sind solche Fälle über- aus lehrreich. Ein häufiger Antifetisch wird von Gummikragen gebildet, wie mir überhaupt Gummi unter den antifetischistischen Stoffen des Körpers an erster Stelle zu rangieren scheint. Für viele ist der Kontakt mit diesem Körper ganz unerträglich, während mir auf der anderen Seite allerdings auch Fälle bekannt geworden sind, in denen Gummigeruch und -gefühl wie ein Aphrodisiakum wirkte, ohne dessen Vorhandensein für die Betreffenden eine Potenz zu er- zielen unmöglich war.
Beim Krawattenfetischismus spielt neben dem Stoff, wie Atlas, Seide, und der Farbe, die Bindeart eine sehr große Rolle. Während die genial ge\^nllndene Künstlerschleife, die Marinekrawatte, die langen Regats nebst allen Arten von Schlipsnadeln, die als Fetischis- men etwa den Broschen der Frauen entsprechen, nicht selten eine übergroße Anziehung ausüben, stehen viele Damen den ,, geleimten" Krawatten mit lebhafter Antipathie gegenüber, ähnlich wie etwa den „Röllchen" genannten Manschetten und den Chemisetts, die viel- fach von Frauen als Antifetische empfunden werden, weil sie in ihnen Symbole kleinbürgerlicher Spieße rlichkeit erblicken.
Wir nähern uns damit dem so vielgestaltigen Fetischismus für Unterkleidung und Wäsche. Diese intimen Kleidungsstücke nehmen als Fetische keine geringe Stelle ein. Auf die Frage, ob der nackte, bekleidete oder halbbekleidete Körper anziehender wirkt, antworten unter mehr als 1000 Personen 40%, daß sie der halbverhiillten, 35 "/o, daß sie der völlig entkleideten und 25 "/o, daß sie der ganz be- kleideten Gestalt den Vorzug geben. Entsprechend ihrer anziehen- den Bedeutung legen deshalb fast alle Prostituierten auf „Reiz- wäsche" großen Wert, und die Lebemänner geben ihnen wenig darin nach. Namentlich sind Hemden bei Männern und Spitzenwäsche bei
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Frauen häufige Fetiscliismeu, doch auch weißgestärkte Oberhemden von Herren, wie seidene Leibwäsche eleganter Frauen werden von vielen mit einer das Durchschnittsmaß weit überragenden Leiden- schaftlichkeit begehrt. Ich will einige hierhergehörige Fälle aus meiner Gerichtspraxis anführen: In einem Ehescheidungsfall gab eine Frau an, ihr Mann hätte vom Beginn der Ehe von ihr verlangt, sie solle beim Geschlechtsverkehr Barchent-Unterbeinkleider an- ziehen. Sehr widerstrebend hätte sie diesem Wunsche nachgegeben, darin aber eine Erniedrigung ihrer Person erblickt; „hätte er doch wenigstens seidene Wäsche beansprucht", meinte sie, ,,aber ausge- rechnet einen so gewöhnlichen Stofi' wie Barchent". Da der Ehe- mann mir bereits vor der Ehe einmal seine seltsame Fixierung an Barchent vorgetragen und dies seiner Frau mitgeteilt hatte, wurde ich als sachverständiger Zeuge geladen. Die Ehe erwies sich als unhaltbar. Aus den sehr instruktiven Mitteilungen , welche die Frau in dem Ehescheidungsverfahren zu Protokoll gab, sei folgen- des hervorgehoben:
„Nach meiner Entbindung ging ein paar "\^'ochen alles seinen alten Gang, bis eines Tages mein Mann inich bat, ichj solle mir doch eine weiche Barchent hose oder Unterrock während des Eheaktes anziehen, und wenn ich keins hätte, mir solches kaufen. Unten bei uns im Hause war ein Geschäft, dort hingen die Artikel im Schaufenster. Ich fragte natürlich, v/arum und weshalb, worauf mir mein Mann sagte, das sei so schön weich. Worauf ich ihm nur mit einem Achselzucken und „das verstehe ich nicht" ant- wortete. Damals habe ich Inir sein so mürrisches Wesen oft nicht deuten können. Heute weiß ich, daß nur meine Weigerung ob seiner vorerwähnten For- derung der Grund gewesen sein kann. Eines Tages kam er dann selbst mit einem solchen weichen Barchent-Frauen-Beinkleid an, und ich sollte es während des besagten Aktes anziehen. Ich verstand inich nicht dazu, und so zog es mein Mann selbst an. Dies ging wohl ein Jahr hindurch. Jedesmal drückte ich ihm meinen UnwiUen über das seltsame Treiben aus. Er wurde stets mürrisch und übel gelaunt, daß ich immer etwas darüber zu äußern hatte. Bis ich eines Tages das Beinkleid einfach ve'rschwinden ließ. — Er machte ein furchtbares Gesicht, wie ich solches sagte; aber daran kehrte ich mich nicht. Was mir soeben, beim Schreiben einfällt, daß ich als Weihnachtsgeschenk, welches mein Mann selber einkaufte, auch BarchentstofI für Matinees und dito Anstandsrock bekato. Ich habe dem 'weiter kein Gewicht beigelegt; denn ich glaubte, mein Mann hätte es aus Fürsorge der Kälte wegen getan, fand es nur komisch, daß er die Einkäufe selbst be- sorgt hatte. Welchen Zweck dieses Geschenk hatte, soUte ich später erfahren; denn eines Abends verlangte er, daß ich den Unterrock anziehen sollte im Bett, — imd was mir schon sonderbar vorgekommen war, er hatte täglich geforscht, wie lang ich mir die Matinees machte. Ich solle sie nur mindestens bis zum Knie "machen, worauf ich lachend zur Antwort gab: „aber so lang kann ich doch kein Matinee arbeiten". Auch die Matinees sollte ich im Bett tragen. Nun muß ich offen gestehen, ich habe eines getragen für die Nacht, wenn es ganz besonders kalt war. Unser Schlafzimmer hatte Außenwand, heizen konnte ich es nicht, und da waren mir meine leinenen Nacht- hemden oft zu kalt. Als ich natürlich sah, wozu es dienen sollte, hab' ich es nicht mehr getragen für die Nacht. Während der nächsten drei Jahre trat stets der vor- erwähnte Unterrock während des Geschlechtsaktes in Aktion, und wie es vorher bei dem Beinkleid, so war es jetzt bei dem Unterrock, ich gab nach wie vor meinen Unwillen dagegen kund, er aber war nur beleidigt, wenn ich etwas sagte. Bis ich auch dieses Kleidungsstück verschwinden ließ. Nachdem ich sieben Wochen in Hamburg war bei
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meiner Mutter, kam, ich nach Hause und fand eine große Barchentdecke auf dem Bette meines Mannes, worin ja nun an und für sich nichts zu sehen ist. — Ich seilbst glaubte, seine Mutter, die inzwischen ihn besucht hatte, habe die Decke vielleicht vergessen. Als ich ihn einmal fragte, gab er mir zur Antwort, er habe sie sich gekauft. Eigentlich sehr überflüssig, denn es waren zwei ,, Wolldecken" vorrätig. Aber die sind natürlich nicht so weich wie Barchent. Bald nach meiner Rückkehr wurde dann wieder ein Frauen- beinkleid und Unterrock gekauft, in Barchent, für den bewußten Zweck. Möchte an dieser Stelle noch erwähnen, daß inein Mann mir seiner Zeit immer das Ansinnen stellte, daß er beim Eheakt die Lage der Frau einnehmen wollte, er sagte mir, ein Arzt habe ihm das gesagt. Einmal habe ich ihm hierin den Willen getan. Aber ich war am Morgen so zerschlagen, daß ich weder sitzen noch stehen konnte. Zu dieser Zeit kaufte mein Mann mir einen bunten Barchent-Morgenrock. Auch den sollte ich im Bett tragen, überhaupt imtaer im Hause. Mein Mann erzählte mir, daß schon als ganz kleiner Junge das Befühlen von Barchentsachen seine größte Wonne gewesen sei und daß seine Mutter um diesen Zustand gewußt hätte. Bei Weihnachtsbescherungen bekam das Dienstmädchen auch solche Barchent-Unterröcke, selbige wurden mit auf den Weihnachtstisch gelegt. Mein Mann sagte mir auch, daß er als lediger Mensch mit einem der Dienstmädchen im Hause verkehrt habe, die imtaer solch Zeug währenddem getragen. Ich weigerte mich nach wie vor, die Sachen anzuziehen, alsJ) zog er sie an. Dieses war im Oktober. Bis Weihnachten waren die Sachen nicht mehr weich genug und es sollten neue sein. Mein Mann wünschte sich eines Abends, als wir an einem Laden vorbeigingen, wo diese Barchentsachen wiel üblich im Fenster hingeo, von mir solches zur Weihnacht. — -Er brauchte diese Sachen nur zu sehen, dann zitterte er am ganzen Leibe. — Ich tat, als hätt' ich nichts gehört und Inachte mir mit dem Bub' zu schaffen. Die Folge war natürlich wieder große Verstimmung seinerseits. Ei-" bat auch am Weihnachtsabend darum, als ich noch ging, Besorgungen zu machen. Ich brachte es natürlich nicht mit; habe überhaupt gar keine Notiz davon genommen, im Gegenteil, ich war den Abend doppelt aufmerksam gegen "meinen Mann, ich ignorierte seine^ verdeckte schlechte Laune, wußte ich doch den Ursprung. — ■ Bald nach Weihnachten kam mein Mann noch einmal mit einer Barchent- Scl],lafdecke an, dieselbe sollte ich über mein Deckbett breiten, damit er sie fühlen konnte. Auch das war mir entgegen; denn ich hatte stets das Gefühl, er meint bei einer Annäherung doch nur das Zeug, aber nicht mich. „Elend" habe ich mich stets nach der ehelichen Zusammenkunft ge- fühlt, von Anfang bis Ende meiner Ehe. So elend, daß ich von einem Arzt zum anderen lief, es hieß immer: „Sie sind nervös" usw. Bis ein Arzt mich einmal fragte, ob ich denn glücklich verheiratet sei. Von Anbeginn unserer Ehe habe ich stets das Empfinden gehabt, während einer Zusammenkunft ohne das bewjißte Zeug, daß mein Mann seine Gedanken wo anders hat und äußerte solches zu ihm auch, indem ich ihm sagte, ich müsse glauben, er habe eine andere, denn bei mir habe er seine Gedanken nicht. —
Seit 9. Dezember 1914 stehen wir nicht mehr im ehelichen Verkehr. Im Februar 1915 haben wir uns dahin geeinigt, uns nach dem Krieg scheiden zu lassen. Und habe ich es für selbstverständlich angesehen, daß unser ehelicher Verkehr nicht mehr er- folgte. Einmal im April d. J. näherte sich mein Mann mir mit seinen ehelichen An- sprüchen; ich war sprachlos und fragte ihn, wie sieh denn das "mit unserem Überein- kommen reimt? Worauf er mir sagte, er wolle mich ja auch gar nicht belästigen, ich solle ihm nur gestatten, bei mir liegen zu können. Ich sagte, das sei doch direkt Unsinn und lehnte ab. Dann ist mein Mann ein zweites Mal im Juli d. J. mit seinen Ansprüchen an mich herangetreten; ich lehnte ein zweites Mal ab. Des öfteren hatte ich bemerkt, daß mein Mann morgens längere Zeit auf deta Korridor ohne Licht zubrachte. Eines Morgens wollte ich mich überführen, welcher Grund vorlag und sah nun, daß er sich bei der Garderobe zu schaffen machte, unter der meine Matinee hing. Er braucht den Stoff ja nur anzufühlen, das genügt ihm schon. Ist es -da nicht ganz erklärlich, daß ich immer mehr Widerwillen gegen ihn
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verspürte? Ich meine, daß es unter diesen Umstanden ein Ding der Unmöglichkeit ist, daß der Junge unter meines Mannes Erziehung stehen soll."
Dieser ganze Bericht ist überaus bezeichnend für den naiven Unverstand, mit dem die meisten Frauen einem selbst verhältnis- mäßig- harmlosen Fetiscliismus ihres Gatten gegenüberstehen, und zwar durchaus entgegen ihrem eigenen Eheglück. Die Frau berief sich in ihrem Ehescheiduugsprozeß darauf, daß Ärzte ihr geraten hatten: um ihren Mann von seiner Unnatürlichkeit zu kurieren, müsse jedes Stück Barchent aus der Wohnung entfernt werden. Sollte ein solcher Rat tatsächlich gegeben worden sein, was ich be- zweifle, so wäre es der denkbar schlechteste. Im Gegenteil würde sich das E beleben wahrscheinlich für alle Beteiligten sehr harmonisch gestaltet haben, wenn die Gattin ihrem Manne hinsichtlich seinel* feti- schistischen Besonderheit entgegengekommen wäre.
Eecht schwierig lag ein anderer Fall von Unterkleidungs- f etis'chismus , der einen Eisenbahnbeamten betraf. Dieser Mann war ertappt worden, als er im Hause eines höheren Polizeibeamten einbrach, um Frauenhemdeu zu entwenden. Es stellte sich heraus, daß er in periodischen Abständen nachts durch die Straßen seines Wohn- orts irrte, um irgendwo durch einen Spalt im Fenstervorhang ein Stück von einer sich entkleidenden Ehefrau zu erspähen. Hier schlich er sich dann später ein, um Wäsche zu stehlen, die er im Dienst ständig auf seinem Körper trug. Von einem partiellen Transvestiten unterschied er sich dadurch, daß es niemals unge- tragene Wäsche sein durfte. In der Hauptverhandlung vertrat ich den Standpunkt, daß bei dem erblich schwer belasteten Mann zum mindesten die freie Willensbestimm,ung nicht mit der Sicherheit bejaht werden könne, wie es das Gesetz erforderte. Mein Gegengut- achter, ein Universitätsprofessor, legte dem Gericht d^r, daß es für die Beurteilung des Diebstahls völlig unerheblich sei, ob der Täter sich bereichern oder sexuell befriedigen wolle. In beiden Fällen suche er doch nur seinen Vorteil. Der Gerichtshof schloß sich dieser Beweisführung an und verurteilte den Mann wegen Einbruchs ohne mildernde Umstände. Wenige Tage später fand man ihn in seiner Zelle tot vor; er hatte sich erhängt.
Fast stets in falschen Verdacht geraten Taschentuchfetischisten. Man hält sie für Taschendiebe. Ich hatte einen Mann zu begutach- ten, der Jura studiert hatte. Dieser war bereits viermal wegen Taschendiebstahls vorbestraft. Die wahre Ursache hatte er sich nicht zu sagen getraut, auch nicht ohne Grund angenommen, man würde ihm doch nicht glauben. Jetzt endlich, beim fünften Mal, hatte er die Gründe seiner strafbaren Handlungen angegeben. Dar- auf erfolgte meine Ladung als Sachverständiger. Das Gericht schloß
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sich dem Endergebnis meines Gutachtens — „Zweifel an der freien Willensbestimmung" — an und sprach frei. Bei den Taschentuch- fetischisten ist, wie bei den Wäschefetischisten überhaupt, oft der Geruchssinn das leitende Sinnesorgan. Wiederholt sah ich auch Fetischisteu, die nur parfümierten Frauentaschentüchern nach- stellten.
Häufige Fetische sind männliche Unterhosen; weibliche Unter- beinkleider wirken häufiger antifetischistisch als fetischistisch, wäh- rend Trikots, namentlich fleischfarbene, zu den Fetischen erster Ordnung gehören. Ich kannte einen bisexuellen Künstler, den sexuell nichts so erregte, als weibliche Unterwäsche bei Herren und Männerhemden bei Damen.
Zum Rumpfbekleidungsfetischismus gehört endlich auch der Kojsett f etischismus. Für die an dieser Anomalie leidenden Personen bilden die Auslagen eleganter Korsettg-eschäfte den In- begriff alles Schönen, deren Betrachtung allerdings für sie die Überwindung erheblicher Schamschranken notwendig macht. Ich habe aber auch Fälle von intensivem Korsetthaß gesehen; einige objektivierten ihre im Sexuellen wurzelnde Idiosynkrasie, indem sie den Schnürleib als höchst gesundheitsschädliches „Marterwerkzeug" lebhaft bekämpften. Ich will als Beispiel ein Gutachten anführen, das ich über einen hochgradigen Korsettfetischisten abgegeben habe; es handelt sich um eine Ehescheidungssache eines in Paris lebenden Ehepaares.
Ich gebe hier die Hauptstellen des Gutachtens, aus denen alles Nähere ersichtlich ist, wieder: „Wertvoll für die Entscheidung der Frage, ob der Ehemann E. tatsäclilich an einem pathologischen Fetischismus leidet, sind in erster Linie die Briefe des franzö- sischen Arztes Dr. F., der den Ehemann längere Zeit behandelt und beobachtet hat. Aus dem ersten Brief vom 31. Oktober geht hervor, daü auch der neue Spezialarzt, der den Ehemann R. untersucht hat, Dr. V., die Auffassung seines Kollegen teilt. Nach den beiden Briefen des Dr. P. vom 30. und 31. Oktober 1905 bezeichnet dieser Arzt den Herrn R. als einen Kranken, und zwar nennt er seine Krankheit eine „obsession morbide", es handelt sich dabei nicht um eine bloße Neurasthenie, welche wahrschein- lich auch vorhanden gewesen ist und noch vorhanden sein mag, sondern es besteht kein Zweifel, daß der Arzt die mit dem Sexualakt zusammenhängende „ob- session" des R. meint. Die Bezeichnung „obsession morbide", krankhafte Zwangsvorstellung, ist hier für den krankhaften Fetischismus gewühlt. Zwar verbinden die deutschen Spezialforscher init diesem Begriffe im allge- meinen nicht die sexuellen Anomalien, aber an und für sich ist auch der Fetischismus eine Art Zwangsvorstellung, und es ist besonders hervorzuheben, daß in Frankreich die Ärzte oft die sexuelle Anomalie einfach unter die obsession morbide rechnen. Indem aber die französischen Arzte, welche den R. beobachtet und behandelt haben, eine eigentümliche Sucht nach einer schmalen Taille seiner Frau als obsession morbide bezeichnen, sagen sie, daß es sich nicht um normale Vorliebe für besonderel Eigenschaften, sondern um die charakteristische pathologische Anomalie des Fetischismus handelt.
Auch der mit der Familie gut bekannte Dr. W., welcher einen näheren Einblick in die Verhältnisse der Eheleute erhalten hat, nennt djes Begehren des R. nach einer schmalen Taille eine „Idee fixe", eine fixe Idee, eine Zwangsvorstellung. Aus dem Ein- gang dieses Briefes, wo der Arzt von dem sexuellen Unvermögen des Herrn R. spricht,
T. Kapitel: Fetischismus 63
darf man auch den Schluß ziehen, daß die Impotefnz des li. in Zusammenhang mit seinem Fetischismus zu bringen ist, d. h. daß er eben nur potent ist, wenn die Taille seiner Frau möglichst verengt, möglichst schmal getoacht wird. In den Briefen der Ehefrau R. wird das Verhalten ihres Mannes derart geschildert, daß ihre Mitteilungen auf einen charakteristischen Fetischismus pathologischer Art deuten. Darnach behauptet die Ehefrau R., daß ihr Mann fortgesetzt verlangt habe, sie solle sich möglichst eng schnüren, daß er sich immer wieder uln ihr Korsett, ihre Leibeszucht bekümmert, und beim Verkehr alles Gewicht auf ihre Taille gelegt habe.
In deni Brief an ihn voto 30. April 1906 schreibt sie einen Satz, der mit wenigen Worten die sexuelle Anomalie ihres Mannes treffend schildert und mit absoluter Deut- lichkeit zeigt, daß bei R. eine sexuelle Anomalie vorhanden ist. Sie schreibt: „Solange wirst Du krank sein." Diese Äußerung in dem Munde einer Frau, welche wohl sicher- lich von sexueller Anomalie wenig weiß und keine medizinischen Bücher hierüber studiert hat, trägt den Stempel der Wahrheit und es ist undenkbar, daß sie nicht lediglich die im sexuellen Verkehr mit ihrem Mann etopfangenen Eindrücke wiedergibt.
Dieses Impotentsein ohne das Einschnüren der Taille zeigt aber deutlich, daß eben die schmale Taille conditio sine qua non für die sexuelle Libido des R. ist, also daß wirklicher Fetischismusvorliegt.
Auch die Briefe des R. selber bestätigen völlig diese Annahme. Wie so man- cher sexuell Anomale sucht er seine Anomalie durch allerlei ästhetische, ja sogar hygienische Motive zu beschönigen und zu erklären. An und für sich gibt er seine Vorliebe, seine Passion für die schYuale Taille zu, irai Brief vom 31. Oktober erkennt er an, daß ihn die Fragen der Taille be- schäftigt haben, und er ihnen entsagen wolle. Nur findet er seine krankhafte Sucht natürlich. Im Brief vom 27. Oktober sagt er selber, er habe seiner Frau geraten, den Leib gut zu schnüren, es sei dies aber eine gute hygienische Maßregel. Im Schreiben vom 18. November scheint er jedoch seine Anomalie selber krankhaft zu emp- finden. Im Brief vom 21. April gibt er seine sexuelle Impotenz zu und aus dem folgenden Satz „il est des mets qu'on aime" (es gibt Speisen, die mau liebt) gibt er zu erkennen, daß seine Impotenz von der Art der Speisen, die er liebt, d. h. von deta Vorhanden- sein der engen Taille, des Schnürens abhängig ist. In dem gleichen Brief will er seine Frau durch Mitteilung der Ansichten des Dr. U. über seinen Fall zu überzeugen suchen, daß sie ihnv in seinem Fetischismus entgegenkomme, indem er ihr beweisen will, daß sowohl nach Dr. U.s Ansicht als auch nach seinem in' Wirklichkeit nicht abzuändernden, in seiner Natur eingepflanzten sexuellen Trieb eben nur der sexuelle Verkehr in der von ihm gewünschten — d. h. tatsächlich fetischistischen, krankhaften, wenn auch von R. als natürlich empfundenen — Weise 'möglich ist. Der Brief vom 7. Mai zeigt d i e Angst des R., seine Frau könne noch dicker werden, und am Schlüsse sagt er deutlich, daß seine Krankheit darin bestehe, daß es ihm unmöglich ist, seine Frau in einem „physischen", d. h. dickeren Taillenzustand zu sehen, der ihm nicht gefällt. Dieses Nichtgefallen ist aber nicht ein gewöhnliches ästhetisches Nichtgefallen, sondern, wie auch der Brief vom 6. Juni besagt, die stärkere Taille verhindert, daß er seine Frau (sexuell) begehrenswert findet. Wie schon bei ihm sich beim sexuellen \'erkehr alles auf die schmale Taille konzentriert, geht aus dem gleichen Brief vo"m 6. Juni und dem vom 11. Juni, und zwar aus der Tatsache hervor, daß er die Be- dingung seiner Frau im Brief vom 1. Juni und im Brief vom 10. Juni, wonach an ein weiteres Zusammenleben nur zu denken sei, wenn er ihr schriftlich und in aller Ehr- lichkeit erkläre, die Taillenfrage bei dem sexuellen Verkehr sei ih"m gleichgültig ge- worden (Brief der Frau vom L Juni), einfach für ganz unmöglich erklärt. Endlich gibt er auch in dem Brief vom 12. April an Dr. U. seine fixe „Idee", seinen Fetischismus zu und zweifelt an der Möglichkeit, von ihm lassen zu können. Auch die weniger wich- tigen Briefe der sonstigen Familienmitglieder zeigen, daß die Familie allmählich zuln Bewußtsein kam, daß bei R. eine mit der festen Taille der Ehefrau R. zusammenhän-
g4 • I- Kapitel : Fetischismus
gende sexuelle Anomalie besteht. Die sexuelle Anomalie, mit der R. behaftet ist, ko"mmt dem R. selber nicht als etwas Krankhaftes — wenigstens nicht in allen Briefen — zum Be- wußtsein. Es ist wahrscheinlich, daß noch andere krankhafte Symptome, insbesondere neurasthenischcr Art, bei E. vorhanden sind, wenn auch die sexuelle Anomalie das wenigstens nach außen hin allein oder das doch am deutlichsten sich bemerkbar machende krankhafte Sylnptom darstellt.
Auf keinen Fall aber darf man die sexuelle Anomalie leugnen aus dem Grunde, weil R. im übrigen intelligent, vielleicht auch in manchen Beziehungen sehr begabt ist, oder weil von' eigentlicher Geisteskrankheit bei ihm keine Rede sein kann. Denn tat- sächlich haben die sexuellen Anomalien mit Psychosen im gewöhnlichen Sinne des Wortes nichts zu tun. sie führen so gut wie nie zu wirklich en Geistös- krankheiten, sie finden sich auch oft sogar bei geistig hoch- begabten Leuten, trotzdem bilden Anomalien wie der in Rede stehende Fetischismus eine krankhafte Erscheinung. Für diese Anomalie an und für sich ist R. auch nicht verantwortlich zu machen. Es handelt sich nicht um eine Marotte, um eine Sucht nach neuen Reizen, um eine Eigentümlichkeit, die er nach seinem Willen ablegen könnte, vielmehr um einen seiner Natur eingepflanzten eigen- artigen Trieb. Dabei ist es auch gleichgültig, wie man sieh die Entstehung des Triebes denkt, ob man ihn für angeboren hält oder infolge zwingender Assoziation in der Jugend entstanden. Jedenfalls hat sich dieser Fetischismus bei R. eingepflanzt, und dies sicherlich schon lange. Eine derartige willkürliche und infolge von Exzessen ent- standene Anomalie wird überhaupt in Forscherkreisen, nachdem jetzt ein ausgedehntes Gebiet durchstudiert und geprüft ist, kaum noch für möglich gehalten. Aus dem Wesen und der Neigung des R. folgt auch, daß die Heilbarkeit so gut wie ausgeschlos- sen ist.
Daß R. durch die Behandlung bei den Ärzten Dr. P. und V. nicht geheilt werden würde, war zu erwarten. Das Gegent-eil wäre nur zu verwundern gewesen. Brom, Bäder u. dgl. können den Geschlechtstrieb ita allgemeinen herabsetzen, können den R. dazu bringen, weniger häufig mit seiner Frau verkehren zu wollen. Auf die psychische Notwendigkeit für R., daß beim sexuellen Verkehr die Bedingung der engen Taille vorhanden sein muß, kann diese Art der Behandlung keinen Einfluß haben. Wenn er ^auch ohne diese Voraussetzung, sei es durch die bloße Vorstellung einer Frau mit einer engen Taille — eine Vorstellung, die aber durch eine damit in Widerspruch stehende Realität leicht ihrer erregenden Kraft beraubt wird — sei es durch Inanuelle Manipulationen zur Erektion und Ejakulation fähig Merden sollte, so würde dies doch niemals eine ihm adäquate Be- friedigung darstellen, und auf die Dauer würde er sich kaum hiermit begnügen. E r muß eben seinen Fetisch bei dem sexuellen Verkehr haben. Daß einer Frau ein Verkehr in der geforderten Weise nicht zuzumuten ist, bedarf keiner Ausführung.
Was die Verantwortung des R. für seine sexuelle Anomalie anbelangt, so ist das Bestehen der • Anomalie von deren Betätigung zu unterscheiden. Für das Bestehen der Anomalie kann R. nicht verantwortlich gemacht werden. Es handelt sich nicht um eine von seinem Willen abhängige Eigentümlichkeit, sondern um eine eingepflanzte, gegen Willen und Vernunft sich geltend machende Empfinduugsweise. Demnach ist für mich kein Zweifel, daß die Anomalie des R. nicht etwa erst seit seiner Verheiratung entstanden ist, sondern schon vorher und sicherlich schon längst seiner Natur eingepflanzt gewesen ist. An einer Stelle der Korrespondenz findet sich auch direkt eine Andeutung, daß R. schon längst in der sexuell anomalen Weise emp- funden haben muß, es wird dort von dem seit seiner Jugend vorhandenen Ideal von ästhetischen, schmalen Frauen gesprochen, ein Ideal, das sich aber bei R. nicht begnügte ein Ideal zu sein, wie man ihm bei vielen ästhetisch e'mpfindenden Männern begegnet, sondern — wie der Verkehr mit seiner Frau gezeigt hat — ein in sexuellen Fetischismus ausgeartetes Ideal darstellt. Für therapeutische Erfolge ist bei R. schon
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aus dem Grunde wenig Hoffnung vorhanden, weil aus seinen Briefen hervorgeht, daß or die Bedingung seiner Frau, „seine Korsett- und Taülenideen" aufzugeben, glatt zurückweist, also sich psychisch einer Gegensuggestion gegenüber schon ' in einem ungünstigen Renitenzzustand befindet.
Was nun das weitere, die Verantwortung des R. für die aus seiner Anomalie fließenden sexuellen Handlungen angeht, so macht das Vorhandensein eines anomalen Triebes den davon Betroffenen nicht ohne weiteres unverantwortlich für die Betätigung des Triebes. Es läßt sich vielmehr sehr wohl behaupten, daß R. versuchen kann, den Verkehr mit seiner Frau durch bloße Vorstellung einer Frau mit enger Taille zu ermöglichen, ohne seine Frau mit Schnüren, Korsettragen, Quälen und Drängen zu be- lästigen. Man kann auch ihn vielleicht insofern verantwortlich machen, als er über- haupt, anstatt seiner Frau einen qualvollen sexuellen Verkehr aufzullrängen, lieber auf solchen ganz verzichten sollte.
Da R. aber nur bei möglichster Einschnürung der Taille seiner Frau eine wirk- liche sexuelle Befriedigung empfindet, und er ohne diese Vorbedingung entw^er über- haupt nicht potent wird oder nur einen als onanieartigen Akt empfundenen Verkehr vornehmen kann, ist sein Widerstand, seine „Idee" zu lassen, erklärlich. Nur kann selbstverständlich einer Frau nicht zugemutet werden, unter dieser Anomalie zu leiden und einen sexuellen Verkehr mit ihreta Mann unter den für sie peinlichen und peini- genden Umständen zu dulden. Daß der Fetischismus und insbesondere die konkrete Anomalie, mit der R. behaftet ist, das Fehlen einer persönlichen Eigenschaft, nätolich der sexuellen Nor- malität und der Fähigkeit, normalen sexuellen Umgang zu pflegen, darstellt, bedarf kaum der Hervorhebung. Daß d i e Frau, wenn sie diesen Fehler gekannt hätte, dadurch von der Ein- gehung der Ehe abgehalten worden wäre, daran wird man nicht zweifeln können, ebensowenig daran, daß das Nichteingehen der Ehe des R. in diesem Falle aus der Würdigung des Wesens der Ehe hervorgegangen wäre.
Schließlich ist auch die Frage zu bejahen, ob die Ehefrau erst allmählich und erst nach ärztlicher Behandlung ihres Mannes seine Anomalie als solche erkennen konnte.
Eine Frau, die wie die Klägerin in sexueller Hinsicht vollständig unwissend ist, konnte unmöglich das Perverse, Krankhafte solcher Triebe aus sich selbst erkennen, um so mehr, als am Anfang, da ihre Taille noch eng war, die Forderungen, welche ihr Mann stellte, nicht übermäßig waren. Sie war hierzu erst imstande, als trotz der Behandlung bei Dr. P. in Paris, bei dem Besuch des Beklagten im Januar und April 1906 bei ihren Eltern es sich herausstellte, daß das alte Übel immer no<!h vorhanden war.
Ich fasse daher mein Gutachten wie folgt zusammen:
I. Auf Grund der mir mitgeteilten Schriftstücke bin ich der Überzeugung, daß Herr R. Init einem dauernden, unheilbaren oder schwer heilbaren sexuellen Fehler behaftet ist, nämlich mit einer hochgradigen Form des Feti- schismus, dessen Vorhandensein das Wesen der Ehe in der Weise beeinträchtigt, daß man einem Ehegatten nicht zumuten kann, die Ehe weiter fortzusetzen, wenn er das Vorhandensein dieser Perversität als solche erkennt.
II. Aus den Schriftstücken und aus der Natur der Krankheit ist zu schließen, daß der Fehler seit Eingehung der Ehe vorhanden war.
III. Die Ehegattin war entsprechend ihrer Erkenntnisfähigkeit und der eigen- artigen Natur der Krankheit nicht imstande, ihren Irrtum binnen 6 Monaten nach
• Eingehung der Ehe zu entdecken. Es konnte dies erst ganz allmählich, und zwar erst nach jahrelangem Zusatamenleben erfolgen.
Neuerdings steht ein analoger Fall von Taillenfetischismus in meiner Beobachtung, der dadurch eine besondere Färbung erhält, daß er sich ausschließlich auf Blutsverwandte richtet. Diese erotische Fixation an Verwandte, vor allem die so verbreitete
Uirschteld, Sexualpathologle. III. 5
(56 I. Kapitel: Fetischismus
Cousineiiliebe, wurzelt gewöhiilieli in einem narzißtisch-fetischisti- schen Komplex, einer Vorliebe für gewisse fam iliale Eigen- schaften körperlicher, häufiger noch psychischer Art. Meist ist damit Verminderung der sexuellen Agressivität, wenn nicht gar eine Agressionsin Version vergesellschaftet.
Patient, ein SOjähriger Marineoffizier, sclireibt: ,,Bis zu Ineinein 15. Lebensjahr bemerkte ich nichts von meiner eigentümlichen Veranlagung. In der Zeit sprach einmal eine meiner Tanten verächtlich von der „W ospentaille" meiner Schwester. Ich betrachtete meine Schwester daraufhin und fand ihre Taille himmlisch. Von dieser Stunde an bekam ich stets eine Erektion, wenn "meine Schwester ihr Korsett anzog, be- sonders heftig, wenn ich ihr dabei behilflicli sein konnte. Einen Geschlechtstrieb kannte ich jedoch in dieser Zeit noch nicht. Im Ki. Lebensjahr, als ich zur See ging, vorschwand die erwähnte Anlage für Jahre. Im 27. Jahre heiratete ich meine hübsche, sehr schlatikc Cousine. Einige Jahre nach meiner Verheiratung, vor etwa 10 Jahren, kam meine Vorliebe für überschlanke Personen mit ganz dünner Taille wieder stärker zum Vorschein. Dieser Trieb hat sich bis heute bei mir erhalten. Wenn ich ein solches Wesen, überhaupt wenn es noch elegant gekleidet ist, sehe, so bekomme ich ein so- fortiges Wollustgefühl. Im Verkehr mit meiner Gattin, die eine vortreffliche, seelens- gute, praktische Frau ist, begnüge ich mich mit der Vorstellung, daß sie ganz eng geschnürt sei, denn es würde mir außerordentlich leid tun, wenn ich ihr weh täte, was sicher der Fall wäre, wenn sie von meiner Preßsucht erführe. Ich glaube bestimmt, sie würde mich "mit meinem Jungen sofort verlassen. Ich habe es aus diesem Grunde auch nicht gewagt, mit ihr perversen Geschlechtsverkehr zu treiben. Was mich jetzt dazu treibt, energische Schritte gegen meine geschlechtliche Neigung zu untemehmen,! und der Grund ist, weshalb ich Inich an Sie wende, ist die Begierde, welche mich seit Juni für 'meine 15jährige Nichte erfaßt hat. Als ich im .Juni Urlaub hatte und dieses Mädclien seit längerer Zeit wiedersah, so ganz gekleidet, wie es meinem Ideal entspricht, war ich durch den Anblick so gebannt, daß ich mich sofort verliebte. Ich suchte fortwährend mit dem Mädchen allein zu sein und hatte täglich Samenerguß, wenn ich nur eine Viertelstunde in seiner Nähe weilte. Mit äußerster Energie gelang es mir, mich zu beherrschen und keine Handlung zu be- gehen, welche mir hätte verhängnisvoll werden können. Das Bild, welches ich von der heimlich Geliebten erhielt, dient mir jetzt dazu, mich bei Selbstbefriedigung zu erregen. Ich bin sonst kerngesund; alle meine Bekannten, welche mich seit längerer Zeit nicht gesehen haben, sagen mir stets, daß ich ein blühendes Äußere habe. Und doch ....''
Korsettfetischisten sind meistens auch Gürtel- und vor allem Strumpfbandfetischisten, die dem „Strumpfband ihrer Liebeslust" als Symbol und Reliquie größte Verehrung zollen. Erotisch bedeu- tungsvoll sind „Eeizstrümpfe" aller Art, von den feinsten bis weit über die Knie reichenden Florstrümpfen bis zu den kurzen wollenen Socken. Ein mir bekannter Arzt erklärte, daß für ihn, wenn eine Frau ihre Strümpfe auszöge, jeder Reiz verschwunden sei. Wie häufig dieser Fetischismus ist, dafür bietet die große Beliebtheit einen Fingerzeig, deren sich gerade die Photographien erfreuen, welche weibliche Personen darstellen, die nichts als hmge schwarze Strümpfe anhaben, vielfach allerdings in Verbindung mit Schuhen. Diese beiden Fetische — Schuhe und Strümpfe — bilden für viele, wenn auch keineswegs für alle Fetischisten eine Einheit. Die sich im Kriege über alle Länder verbreitenden Wickelgamaschen ge-
T. Kapitel: Fetischismus 67
wannen durch ihre sich der Form des Unterschenkels eng anpas- sende Führung in kurzer Zeit für viele Frauen eine hohe feti- schistische Bedeutung, nicht weniger die Lederganiaschen.
In Laieiiikreisen ist der ,,Schuh f r e i e r" neben dem „Zopf- abschneider" wohl der am meisten bekannte Typus eines Fetisch isten, und in der Tat stellt er wohl die häufigste Form des Be- kleidung s f e t i s e h i s m u s dar. Es gibt keine Art von Schuh- werk und an diesem nicht eine einzige Stelle, die nicht als Fetisch höchst erregend und aufreizend wirken kann. Bald sind es die Hacken, bald die Knöchelfalten, bald die Schnürsenkel, bald der Spann und bald der Schaft, bald die Sohlen und bald die Schuhnägel, die als F i x a t i o n s p u n k t e in Betracht kommen. Sehr viel be- achtet wird die Form des Schuhes. Einige reagieren nur auf Halb- schuhe, andere nur auf Reitstiefel, wieder andere auf Zug-, Stulpen-, Schaft- oder Schnürstiefel, manchen kann der Schuh nicht elegant und zierlich, manchen nicht derb und unförmig genug sein. Dieselbe sich bis zum Fetischismus steigernde Geschmacksverschiedenheit besteht hinsichtlich des Stoifes. Zeugschuhe bilden für viele einen Antifetisch, während Lackschuhe wiederum auf der Fetischseite obenan stehen; dazwischen liegen Kalb-, Rind-, Wild- und' andere Ledersorten. In den Mitteilungen einer in sexuellen Dingen völlig unwissenden jungen Frau, die nach einjähriger Ehe mit einem Offizier gegen diesen die Scheidungsklage einreichte, findet sich folgende Stelle: „Meine Stiefel sollten stets schwarz sein, mit recht hohen Schäften und hohen Absätzen, außerdem mit kleinen, runden, schwarzglitzernden Knöpfchen, die er sich gern ins Gesicht drücken ließ. Strümpfe und Beinkleider sollen ebenfalls schwarz sein. Ei' hat es gern, wenn ich mich eng sclmürö und zieht sogar selbst Gürtel und Bänder bei mir fest an. Beim Akt mußte ich stets Korsett, hohe Stiefel und Strümpfe anhaben, sonst konnte er nicht mit mir verkehren. Dabei lag er stets unten. Bevor er zu mir kam, sollte ich ihm sein Glied mit einem kleinen Riemen umschnüren und mit Eau de Cologne einreiben, dann es mit den Stiefelabsätzen treten. Für mich waren das starke Zumutungen, die ich schließlich meiner Mutter anver- traute, welche sich darüber geradezu entsetzte." Sehr deutlich tritt bei diesen Sukkumbisten die metatropische Bedeutung der Fußbeklei- dung hervor. Den Schuh lieben, heißt sicli unterwerfen wollen, wobei das Merkwürdige ist, daß, wie im letzterwähnten Fall, der Schuhfreier förmlich einen Zwang ausübt, um zu erzielen, daß gegen ihn ein Zwang ausgeübt wird — eine der für das Liebes- leben so charakteristischen sadomasochistischen Gegensatzüberwin- dungen.
Es gibt Fetischisten, die sich in Hotels abends heftig an den zur Reinigung herausgestellten Schuhen und Stiefeln erregen.
68 T. Kapitel: Fetischismus
Einer gab an, daß er sieh onanistisch betätige, wenn er ein Paar starke große Männerstiefel, am liebsten Soldatenstiefel mit Sporen, neben zierlichen Frauenschuhen vor der Zimmertür stehend betrachte; er schleiche sich im Dunkel der Nacht zu den 4 Schuhen, um sie zu streicheln, zu beriechen und zu küssen. Dieser Mann — er war seines Zeichens Geistlicher — hatte auch schon wiederholt Hausdiener bestochen, damit sie ihm gestatteten, die Schuhe der Hotelgäste früh zu säubern. Trotzdem ihm dieser ganze Zustand äußerst peinlich war, konnte er seine Stiefelleidenschaft nicht bezäh- men. In Konstautinopel wurde mir in der Perastraße ein alter, sehr ernst und würdig aussehender Stiefelputzer gezeigt, der in seiner englischen Vaterstadt früher als vornehmer, reicher Mann gelebt haben sollte und vor mehreren Jahrzehnten lediglich aus dem Grunde nach der Türkei übersiedelte, um dort unerkannt und un- gehindert seinem seltsamen Drang für Stiefel frönen zu können. Was die eleganten Levantinerinnen für sorgsames Glätten und Glänzen hielten, war in "Vf irklichkeit eine erotische Liebkosung ihres Schuhzeugs. Ein Patient von mir litt sehr unter einer Passion für hohe geschweifte Absätze. Er fuhr aus dem kleinen Orte, wo er in sehr angesehener öffentlicher Stellung lebte, monatlich einmal nach der Großstadt, suchte dort stundenlang nach den höchsten Hacken, deren er bei einer Dame ansichtig werden konnte und veranlaßte diese — es handelte sich immer um Prostituierte — , ihm den Körper so lange mit den Hacken zu bearbeiten, bis Ejakulation erfolgte. In London wurde vor einigen Jahren ein berühmter Maler ermordet, dessen ganzer Körper mit frischen Wunden und älteren Narben be- deckt war, die von Sporen herzurühren schienen. Die Nachfoschun- gen ergaben, daß sein letzter Besucher ein Kavallerist gewesen war. Der unglückliche Mann hatte offenbar ebenfalls der ausgedehnten Klasse der Reitstiefelfetischisten angehört. In meiner Praxis habe ich zu wiederholten Malen derartige Narben am Körper von Sporenfetischisten feststellen können. Daß aber aucli auf diesem Gebiet antifetischistische Regungen vorkommen, zeigte mir vor Jahren ein Fall, zu dem ich g\itachtlich zugezogen war. Ein Mann war wegen Sachbeschädigung angeklagt, weil er in einem der ersten Hotels der Hauptstadt von einem Gast ertappt wurde, wie er gelbe Lederschnürschuhe mit einem Messer zerschnitt. Überhaupt liegt scheinbar völlig grundlosen Sachbeschädigungen, beispielsweise Zerstörung bestimmter Kleidungsstoffe durch Bespritzen ätzender Säuren, viel häufiger als man annimmt